Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
nichts und schauten auch nicht zu den Frauen, die am Tor herumstanden. Immer sind es Frauen, dachte Dennis und blickte hinunter auf die sonnenhelle Straße. Männer – selbst arbeitslose Männer – schienen nicht dieses makabere Interesse an Tatorten zu haben. Wenn es ein Tatort war. Er war an vielen gewesen und hatte nie ein aufgeräumteres, saubereres, ordentlicheres Haus gesehen. Und es war kein Haus, das eilig geputzt worden war, um Spuren zu verwischen, es war ein Haus, das immer aufgeräumt, sauber und ordentlich war. Eigentlich ein hübsches Haus. Das musste man sagen. Ein paar Bücher. Schönes Porzellan, das viktorianisch aussah. Bunte Kissen. Es war ein Haus, das jemand mit Liebe eingerichtet hatte. Er hatte ein Gefühl dafür, wenn er ein Haus auseinandernahm, und bei diesem sagte ihm sein Gefühl, dass hier kein Verbrechen begangen worden war; niemand war hier gefoltert oder umgebracht worden. Keines der vermissten Kinder war in einen Schrank unter der Treppe gestoßen, keine Kleidung war draußen im Garten verbrannt worden. Wenn Sleightholme die Entführerin der vermissten Kinder war, dann hatte sie nichts davon zu Hause gemacht und auch nichts mit hergebracht.
Jo Caper kam pfeifend ins Zimmer.
Sie standen jetzt beide am Fenster und sahen hinaus.
»Da wird auch nichts sein«, sagte Dennis schließlich. Der Garten war ordentlich und gut gepflegt. Ein rechteckiges Rasenstück, Blumenbeete zu beiden Seiten mit Rosenbüschen, weiter hinten ein Sommerflieder. Ein vorgefertigter Gartenschuppen, der bereits durchsucht worden war. Ein Tisch mit zwei umgekehrt darauf ruhenden Plastikstühlen. »Wie schade.«
Denn gegen Ende der Woche würden sie den Garten umgraben müssen. Zeitverschwendung, Energieverschwendung, vor allem in der Sonne; im Garten würde nichts vergraben sein. Er wusste es.
»Und bei dir?«
Jo schüttelte den Kopf. »Nichts. Bin gerade damit fertig geworden, ihre Kleider einzutüten. Damit sind wir im Schlafzimmer durch.«
»Irgendwas Neues wegen des Autos?«
»Ich hab Luke sagen hören, dass da etwas sein könnte. Morgen vielleicht.«
»Dort wird etwas sein. Wenn es überhaupt was gibt. Es ist immer das Auto.«
»Nein, ist es nicht.«
»Ja, ja, aber diesmal weiß ich es einfach.«
»Ah ja, hast du deine Wünschelrute ausgepackt?«
»Sind schon merkwürdigere Sachen passiert.«
»Ich hab davon gehört.«
Dennis hatte einmal, nur ein einziges Mal, einen Garten umgegraben und unter einer neu angelegten Terrasse einen Brunnenschacht gefunden und eine Leiche plus eine Menge Wasser.
»Genau. Zurück ans Werk.«
»Willst du ’ne Cola?«
»Nee, ist bestimmt lauwarm.«
»Nein, ich hab’s unten in den Kühlschrank gestellt.«
»Das hättest du nicht tun sollen.«
»Vermutlich nicht.« Jo segelte hinaus.
In ihrem Haus saß Kyra vor einem Mein-kleines-Pony- Video hinter zugezogenen Vorhängen. Hin und wieder stand sie auf und schob einen zurück, um zu Eds Haus zu schauen, doch da gab es nie was zu sehen.
Mein kleines Pony hatte süßliche Stimmen und Klimpermusik, und Kyra konnte es nicht leiden, aber sie wagte nicht, den Videorekorder auszuschalten, damit ihre Mutter es nicht merkte und hereinkam. Natalie telefonierte mit Donna Campbell, ihrer besten Freundin.
Kyra lehnte sich auf dem Sofa zurück und schloss die Augen, nur versuchte sie diesmal nicht, einen Farbblock oder schwarzen Samt zu sehen; in Gedanken trat sie durch Eds Haustür und ging nacheinander in jedes Zimmer, überprüfte alles – die Möbel, die Bücher, die mit Blumen geschmückten Tassen und Untertassen, die zwei Clownspuppen, die am Regal baumelten. Sie versuchte sich an alles zu erinnern. Dann würde sie wissen, was die weißen Anzüge mitgenommen oder verstellt hatten. Sie hatte vor, irgendwie in Eds Haus zu gelangen – sie musste dorthin. Sie fühlte, dass Ed sich das von ihr wünschte, ihr und niemand anderem vertrauen würde, nach dem Rechten zu sehen.
Ihre Mutter weckte sie auf, zog die Vorhänge zurück und brüllte. Der Fernseher war ausgeschaltet worden.
»Steh auf, du musst mit.«
»Wohin wollen wir?«
»Jemanden besuchen. Komm schon, Kyra, beweg dich, dein Haar muss gebürstet werden, und du musst ein sauberes T-Shirt anziehen, ich will nicht, dass die Leute denken, ich kümmere mich nicht um dich.«
»Wen besuchen wir denn?«
»Das wirst du sehen, wenn wir da sind.«
»Wo?«
»Ach, verflixt noch mal, Kyra, du bist ein einziges verdammtes Fragezeichen, du.«
Natalie war wütend.
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