Der Seele weißes Blut
er bei der Tür. Hinter sich hörte er Rita die Kerze auspusten und nach dem Schlüssel greifen. »Stets zu Diensten, Commander«, scherzte sie und trat hinter ihm auf den Korridor.
47
Das Büro, das Mörike sich mit Hackmann und Wirtz teilte, war verwaist. Weder auf seinem Schreibtisch noch sonst irgendwo fand sich ein Hinweis darauf, wohin er gegangen sein könnte. Sie liefen quer über den Flur in das Büro von Louis und Salomon, aber auch von Lydia fehlte jede Spur.
»Versuch mal, sie anzurufen«, schlug Schmiedel vor.
Chris zog sein Handy hervor und drückte die Kurzwahltaste, doch am anderen Ende meldete sich nach endlosem Klingeln nur die Mailbox. »Sie geht nicht ran«, sagte er.
»Was zum Teufel ist hier los?«, fluchte Meier. »Das stinkt doch zum Himmel. Die Louis neigt zwar zu gelegentlichen Alleingängen, aber dass sie zu einer Besprechung nicht auftaucht, die sie selbst angesetzt hat, habe ich noch nicht erlebt.«
»Vielleicht hängt sie einfach nur im Stau fest«, meinte Wiechert. »Oder sie hatte eine Reifenpanne.«
Hackmann warf ihr einen vernichtenden Blick zu, unter dem sie erschrocken zusammenzuckte.
»War ja nur so ein Gedanke«, verteidigte sie sich.
Jemand klopfte an die angelehnte Tür und spähte durch den Spalt.
»Ah, die ganze Truppe ist versammelt.« Halverstett trat ein, Schmitt im Schlepptau.
»Nicht die ganze Truppe, die Chefin fehlt«, sagte Schmiedel. »Wolltest du zu ihr?«
»Eigentlich suche ich den Praktikanten, Sebastian Mörike«, antwortete Halverstett. »Ist der schon weg?«
Die anderen sahen sich an. Niemand antwortete.
»Was wolltest du von Mörike?«, fragte Chris schließlich. Die Ahnung, die in ihm aufstieg, war so finster, dass sie in seinem Magen einen schmerzenden Klumpen bildete.
Halverstett sah zögernd von einem zum anderen. »Eigentlich wollte ich das erst mal mit ihm allein besprechen. Es handelt sich um eine private Angelegenheit.«
»Ich fürchte, in Bezug auf Sebastian Mörike ist nichts mehr privat. Wir haben Grund zu der Annahme, dass er in Unregelmäßigkeiten verwickelt ist. Wenn du also etwas über ihn weißt, musst du es uns sagen«, erklärte Chris mit fester Stimme. Der Ernst der Lage entfachte seinen Ehrgeiz und gab ihm etwas von seiner früheren Autorität zurück. Lydia war nicht da, also würde er an ihrer Stelle die Leitung der Moko übernehmen. Glücklicherweise schien das niemand infrage zu stellen.
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.« Halverstett sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
Chris straffte die Schultern. »Mörike hat uns brisantes Wissen bezüglich der aktuellen Ermittlung vorenthalten und uns zudem absichtlich belogen, was eine Spur angeht. Wir wissen noch nicht, warum er das getan hat, aber die Sache wirft in jedem Fall ein sehr zweifelhaftes Licht auf ihn. Und jetzt sag uns bitte, was du weißt.«
»Ich verstehe.« Halverstett blickte in die Runde. »Das ist aber zunächst einmal vertraulich, verstanden?«
Alle nickten.
»Ich nehme an, ihr wisst, dass Rita und ich seit vier Wochen mehr oder weniger erfolglos in dem Fall mit den Gebeinen ermitteln, die im Aaper Wald gefunden wurden?«
Wieder nickten alle.
»Gut. Dann brauche ich dazu nicht viel zu sagen. In der Nähe des Fundorts wurden zwei Gegenstände entdeckt, von denen wir allerdings bisher nicht wussten, ob wir sie überhaupt mit den Knochen in Zusammenhang bringen können. Ein Ehering mit der Inschrift ›Wolf‹ sowie einem Datum und eine kleine durchsichtige Plastiktüte mit Kinderspielzeug, einer Murmel, einem rostigen Taschenmesser und einem blauen Matchbox-Auto. Es gibt Hinweise darauf, dass der Ring einer Frau aus Köln gehörte, deren Mann Wolf hieß und angeblich Anfang der achtziger Jahre nach Australien auswanderte. Unglücklicherweise haben wir noch keinen Nachnamen. Aber dafür hat uns das Spielzeugauto auf eine Spur geführt. Vermutlich gehörte es zu dem Zeitpunkt, als unser unbekannter Toter starb, einem Jungen namens Sebastian Mörike.«
»Wie bitte?«, entfuhr es Meier. »Wie kann man denn so etwas feststellen? Es gibt Zehntausende von Matchbox-Autos. Ich selbst hatte als Kind eine ganze Kiste voll.«
Halverstett hob die Hände. »Bitte fragt nicht nach Details, sondern hört mir weiter zu. Ich bin noch nicht fertig. Als wir die Gebeine bargen, wussten wir zunächst nichts von der Tüte mit den Spielsachen, die hat der kleine Jakob, der Junge, der die Knochen gefunden hat, nämlich erst einmal behalten. Am Tag danach besuchte ich mit
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