Der Seele weißes Blut
später noch kümmern. Während der Rechner hochfuhr, öffnete Hackmann nacheinander die Schreibtischschubladen und begutachtete, so weit es bei den schlechten Lichtverhältnissen möglich war, den Inhalt. Auf den ersten Blick erregte nichts seine Aufmerksamkeit. Aber so schnell gab er nicht auf. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass jeder Polizist irgendwo an seinem Arbeitsplatz etwas aufbewahrte, das mehr über ihn verriet, als ihm lieb war.
Der Computer war inzwischen hochgefahren. Rasch gab er das Passwort ein, das er wie erwartet in ihrem Kalender gefunden hatte, und tastete noch einmal gründlich alle Schubladen ab. Er verfluchte sich dafür, dass er die Taschenlampe in seinem Büro liegengelassen hatte, und überlegte gerade, ob er sie holen sollte, als er etwas ertastete, das sein Herz höher schlagen ließ. Vorsichtig zog er den kleinen Karton hervor und betrachtete ihn im Licht des Bildschirms.
Es gab Kollegen, die davon überzeugt waren, dass Kriminalhauptkommissarin Lydia Louis nicht an Männern interessiert war. Denen hätte er gern seinen Fund unter die Nase gehalten. Nicht dass es besonders anrüchig war, Kondome zu besitzen. Damit konnte er der Louis wohl kaum eins auswischen. Aber dass sie die Dinger am Arbeitsplatz deponiert hatte, war doch bemerkenswert. Und es passte zu dem, was er letzte Woche über sie herausgefunden hatte. Er grinste. Zu gern würde er sie einmal in Aktion sehen. Er spürte, wie der Gedanke ihn erregte, und warf die Packung hastig wieder zurück in die Schublade.
Als Nächstes nahm er sich den Rechner vor und durchforstete alle Dateien, doch er fand nichts, das auch nur annähernd privater Natur war. Dieses Miststück war wirklich übervorsichtig.
Auf dem Flur knackte es. Hackmann hielt inne und lauschte. Nichts. Er fuhr den Rechner herunter und stand auf, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Wieder hörte er ein Geräusch im Flur. Verdammt! Er war sich absolut sicher gewesen, dass alle nach Hause gegangen waren. Fehlte ihm gerade noch, dabei erwischt zu werden, wie er mitten in der Nacht aus Lydia Louis’ Büro kam. Er schlich zur Tür und horchte. Alles schien still. Schnell trat er hinaus und schloss ab. Innerhalb von Sekunden war er zurück in seinem eigenen Büro. Den Schatten am anderen Ende des Gangs hatte er nicht bemerkt.
28
Sommer 1984
Er merkt gleich, dass etwas nicht in Ordnung ist. Mama guckt ihn an, als habe er etwas Schlimmes ausgefressen. Auf dem Weg vom Kindergarten nach Hause sagt sie kein Wort. Er schiebt vorsichtig seine Hand in ihre, aber sie schlägt sie fort. Fieberhaft überlegt er, was er getan haben könnte. Aber es fällt ihm nichts ein.
Papa steht mit verschränkten Armen in der Haustür, als sie um die Ecke biegen. Vor Schreck macht er sich in die Hose. Er weiß, dass Papa deshalb noch wütender wird, aber er kann nichts dagegen machen. Der Stoff klebt warm an seinen Schenkeln, als er die Stufen zur Tür hochsteigt.
Papa greift nach seinem Ohr und zerrt ihn hinein. »Komm mit, du kleiner Hosenscheißer«, zischt er und zieht ihn in Richtung Treppe. Papa läuft so schnell hin-auf, dass er nicht mithalten kann und über die Stufen stolpert. Die Hose zwischen seinen Beinen ist inzwischen kalt, aber das ist nicht der Grund, weshalb er zittert. Kaum betreten sie das Zimmer, da begreift er, was los ist. Der Schrank ist von der Wand abgerückt, das Riesenmonster bleckt die Zähne.
»Kannst du mir erklären, was das ist?«, brüllt Papa.
Er möchte von den wilden Tieren unter seinem Bett erzählen, von dem gefährlichen Krokodil, und von den Monstern, die ihn vor den Tieren beschützen, doch seine Zähne klappern so sehr, dass er kein Wort herausbekommt.
Papa knallt ihm eine, es fühlt sich an, als würde sein Gesicht explodieren. Er vergisst sogar zu zittern. Dafür schießen ihm die Tränen in die Augen, obwohl er ganz doll blinzelt.
»Du sollst nicht heulen!«, schreit Papa. »Du sollst mir sagen, was diese Sauerei hier soll.« Papa zerrt ihn hinter den Schrank und schlägt seinen Kopf gegen die Wand. Irgendwo blitzt etwas auf, er hebt schützend die Hände. Papa zieht seine Hose und seine Unterhose herunter und haut ihm auf den nackten Po. Glücklicherweise hat er nicht gemerkt, dass die Hose nass ist. Papa haut nicht mit der Hand, sondern benutzt etwas Hartes, Dünnes, das bei jedem Schlag brennt wie Feuer. Er versucht, die Zähne zusammenzubeißen, aber er muss trotzdem schreien, wenn das Ding auf seinen Po knallt. Als Papa
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