Der Seele weißes Blut
längeren Atem.
Lydia knallte die Bürotür hinter sich zu. Salomon war nicht da, sie hatte ihr Reich für sich. Sie warf den Parka über den Besucherstuhl und blieb nachdenklich stehen. Das Gespräch mit Antje Maltkowski war anstrengend und frustrierend gewesen. Die junge Frau war vor Kummer und Entsetzen wie gelähmt, kaum in der Lage, vernünftig auf ihre Fragen zu antworten. Immerhin hatte sie sich daran erinnert, dass ein Unbekannter vor etwa zwei Wochen im Café die Toiletten beschmiert hatte. Auf die große Spiegelfläche über dem Waschbecken hatte jemand mit roter Farbe einen riesigen Fisch gemalt. Sie hatte keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte, es war den ganzen Tag über viel Betrieb gewesen, und sie hatten die Schmiererei erst am Abend bemerkt, als sie schließen wollten.
Davon, dass ihre Lebensgefährtin sich in Internet-Foren mit Frauen austauschte, die ebenfalls missbraucht worden waren, hatte Frau Maltkowski nichts hören wollen. »So eine war sie nicht«, hatte sie aufgebracht hervorgestoßen, so als wäre daran etwas Anstößiges.
Zumindest hatten sie jetzt die Bestätigung, dass in zwei Fällen jemand dem künftigen Opfer einige Zeit vor dem Mord einen Fisch an die Wand gemalt hatte. In dreien, wenn Lydia das Geschmiere in ihrer Dusche mit einrechnete.
Philipp Dankert konnte sich allerdings nicht an einen Fisch erinnern, weder im Bad noch sonst wo, aber das bedeutete nicht unbedingt etwas. Zum einen war Ellens Ermordung wohl nicht von langer Hand geplant gewesen, zum anderen hätte Ellen vermutlich gedacht, dass eins ihrer Kinder der Urheber war, und nicht viel Aufhebens darum gemacht, sondern das Geschmiere einfach weggewischt. In dem Fall hätte ihr Mann nie davon erfahren.
Lydia setzte sich und schaltete den Computer an. Das Telefon klingelte. Es war Maren Lahnstein.
»Ich habe etwas gefunden«, sagte die Ärztin. »Es ist aber ein bisschen delikat.«
»Delikat?«, wiederholte Lydia spitz. »Ich fürchte, ich verstehe nicht.«
Lahnstein seufzte. »Das werden Sie gleich. Ich habe Ihnen doch von der Kapsel erzählt, die in Valentina Frederiksens Rachen feststeckte.«
»Die mit dem Flunitrazepam. Ja, ich erinnere mich.« Lydia massierte mit einer Hand ihren Nacken, während sie zuhörte. Sie war todmüde, dabei war es noch nicht einmal Mittag.
»Ich habe den Inhalt analysieren lassen. Es befand sich nicht nur Flunitrazepam darin, sondern auch eine geringe Menge Codein.«
»Und was hat das zu bedeuten?«
»Vor einigen Wochen hatte ich einen jungen Mann hier auf dem Tisch. Er war an einem selbst gemixten Drogencocktail gestorben. Vermutlich ein Unfall. In seiner Wohnung haben Ihre Kollegen eine kleine Menge unterschiedlicher Pillen und Partydrogen gefunden. Speed, Ecstasy und solche Sachen. Interessanterweise auch Codeinkapseln, die der Mann mit zerstoßenen Flunitrazepam-Tabletten, sagen wir, angereichert hatte. Sie wissen, dass Flunitrazepam wegen des Gedächtnisverlustes, den es auslöst, als Vergewaltigungsdroge missbraucht wird? Wegen der inzwischen vorgeschriebenen Blaufärbung ist es schwieriger geworden, den Opfern den Wirkstoff unauffällig unterzujubeln. Diese Kapseln mit kombiniertem Inhalt sind vermutlich eine neue Masche. Die Mädchen denken, sie schlucken Codein, das macht nur ein bisschen high. In Wirklichkeit werden sie mit Flunitrazepam außer Gefecht gesetzt. Es ist zwar möglich, dass die Gelatine-Umhüllung die Wirkung des Stoffes verzögert, aber das kann ja auch gewollt sein.«
»Und das geht so einfach mit diesen Kapseln? Aufmachen, auffüllen und wieder schließen?«
»Das ist kein Problem. Man kann sogar leere Gelatinekapseln samt dem Zubehör zum Befüllen im Internet erwerben. Das ist wirklich ein Kinderspiel.«
»Sie glauben, die Kapsel, die Valentina Frederiksen im Rachen hatte, stammte aus der Herstellung dieses Typen? Es sind doch sicherlich schon andere auf die Idee gekommen, das Flunitrazepam auf diese Weise zu verstecken.«
»Das wäre natürlich möglich. Doch die Kombination mit Codein ist äußerst ungewöhnlich. Ihren Kollegen vom Drogendezernat ist diese Variante jedenfalls zum ersten Mal untergekommen.«
»Aber wir haben keine Ahnung, wie viele Kapseln der Kerl unter die Leute gebracht hat.«
»Haben wir wohl. Keine einzige. Er ist gestorben, bevor er seine Geschäfte damit machen konnte.«
»Sicher?«
»Ihre Kollegen sind fest davon überzeugt.«
»Das heißt …«, setzte Lydia an, und der Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss,
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