Der Seelenbrecher
nochmals leise. Tom imitierte mit seiner Hand einen Scheibenwischer zwischen ihren Gesichtern, um auf sich aufmerksam zu machen. »Schb … nnnhn … schhhtopoohr …«, krächzte die Ärztin kehlig. Es blieb genauso unverständlich wie zuvor. Caspar beschlich für einen Moment das unwirkliche Gefühl, die mysteriösen Laute aus Sophias Mund lösten sich direkt vor seinem Gesicht in Rauch auf. Ein Rauch, der nach Birkenholz roch. Dann sah er die Reflexion der Flammen in ihren Pupillen. Bachmann hatte ein Feuer entfacht.
»Gute Idee.« Caspar stand auf, nickte dem Hausmeister dankbar zu und schob den Rollstuhl vor den offenen Kamin. Yasmin hatte eine braune Tagesdecke aufgetrieben, die sie behutsam um Sophias Schultern legte. Dabei summte sie leise eine traurige Melodie, die Caspar merkwürdig vertraut war. Er konnte den Song keiner bestimmten Band zuordnen, hätte den Text aber auswendig mitsingen können.
Yesterday I got so old I felt like I could die Yesterday I got so old It made me want to cry Auf Sophia schien das Lied eine beruhigende Wirkung zu haben. Sie schloss die Augen.
»Hoffentlich hat sie keine Schmerzen?«, fragte Yasmin und sang dann leise weiter.
Go on go on
Just walk away Go on go on Your choice is made Die Szenerie wurde immer unwirklicher. Die singende Krankenschwester, das brennende Feuer, der mit Tannenzweigen und dunkelgrünen Christbaumkugeln geschmückte Kaminsims und die in Decken gehüllte Frau davor. Alles wirkte auf einmal unendlich friedvoll, und gerade das verstärkte bei Caspar das innere Gefühl der Bedrohung.
Er berührte vorsichtig mit den Fingerspitzen Sophias trockene Lippen.
»Sie dehydriert«, stellte er fest.
»Wir haben hier aber kein Wasser«, sagte die Köchin mit klarer Stimme. Ihre Tränen waren zumindest vorerst versiegt, und sie schien sich wieder im Griff zu haben. Vielleicht reagierte sie auch nur noch mechanisch, wie Menschen unter Schock nach einem Unfall.
»Wasser alleine würde auch nichts nützen. Sie ist kaum in der Lage, selbst zu trinken, sie braucht einen Tropf«, stellte Yasmin fest.
»Klingt vernünftig«, nickte Tom. »Am besten eine Elektrolytinfusion.«
»Ich weiß nicht.« Bachmann massierte sich sorgenvoll den kahlen Hinterkopf. »Ist das wirklich nötig?« »Keine Ahnung. Schwer zu sagen, solange wir nicht wissen, was Bruck ihr angetan hat.« Caspar fühlte Sophias Stirn. »Eine physiologische Kochsalzlösung kann jedenfalls nicht schaden. Aber wenn sie unter einem toxischen Schock leidet, müsste sie dringend Kortison bekommen.«
»Nein, ich denke, wir sollten kein Risiko eingehen.« Bachmann rieb sich nervös die Augen unter seiner Brille. »Lasst uns vorerst hierbleiben und abwarten.« »So ein Blödsinn«, sagte Schadeck laut. »Ich verkriech mich doch nicht wie eine feige Schwuchtel.«
Caspar registrierte, wie der Hausmeister kaum merklich zusammenzuckte, als habe dieses grobe Schimpfwort ihn persönlich beleidigt. Und womöglich tat es das sogar. Die Lesebrille, der Versuch, sich gewählt auszudrücken, die unterschwelligen Andeutungen über seine problematische Ehe, das alles deutete auf einen Menschen, der nicht mit sich im Reinen war. Jemand, der sich womöglich selbst verleugnete.
Schadeck ging einen Schritt auf Bachmann zu. »Pass auf, ich erzähl dir jetzt mal, was ich von meinem Vater gelernt habe. Der war Berufsboxer.«
»Ich ahne, was kommt«
»Abwarten. Mein Daddy hat nie einen Kampf verloren, weißt du, warum?«
»Nein, aber glauben Sie, das ist jetzt die richtige Zeit für Anekdoten?«
»Weil er sich immer nur schwächere Gegner ausgesucht hat«, ignorierte Schadeck die Gegenfrage.
»Meistens hat er gegen meine Mutter gekämpft.« Tom lächelte wie jemand, der kurz vor der Pointe noch einmal die Spannung erhöht. »Einmal, als ich zwölf war, hat er es übertrieben. Er fand, der Kartoffelbrei wäre nicht salzig genug. Also hat er über den Küchentisch gelangt und mit Mamas Kopf Armdrücken gespielt. Kawumm.« Schadeck machte die entsprechende Hebelbewegung mit seinem Arm.
»Ich dachte echt, meine Mutter würde nie wieder den Kopf heben, so laut hat es geknackt. Der Kartoffelbrei spritzte durch die gesamte Küche. Ich stand zwei Meter entfernt an der Spüle und hatte trotzdem noch gelbe Krümel im Haar.« Schadecks ironisches Grinsen war verschwunden.
»Doch dann sah Mama auf. Das Blut schoss ihr aus der Nase und tränkte den Rest des Kartoffelbreis. Ich weiß nicht, was in mehr Teile zerbrochen war. Der Teller oder ihr Kiefer.
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