Der Seelenfänger (German Edition)
müssen, worauf ich mich da eingelassen habe.«
Was meinte Morgaunt damit?, dachte Sascha verwundert. Er blickte nicht mehr durch und konzentrierte sich deshalb auf das Einzige, was ihm hier wichtig schien, das Medaillon seiner Mutter.
»Der Dibbuk hat es gestohlen?«, fragte Sascha. »Aber wie ist es dann in Edisons Labor gelandet?«
»Ich habe es dem Gespenst wieder abgenommen und dann Edison angewiesen, es im Labor auszulegen, ehe ihr kamt. Ich war richtig stolz auf diese Idee, aber ich habe am Ende teuer dafür bezahlt. Der Dibbuk hegt seither ein tiefes Misstrauen gegen mich. Dein Charakter hat eine ziemlich boshafte, tückische Seite bekommen, Sascha. Hat man dir das schon gesagt?«
Sascha starrte J.P.Morgaunt an. Er spürte eine wachsende Beklemmung in der Brust, seit Morgaunt von »magischen Fähigkeiten« gesprochen hatte. Und es wurde immer schlimmer, je mehr er begriff, wie sehr er J.P.Morgaunt in die Hände gearbeitet hatte.
Morgaunt wandte sich kurz ab, um auf die Türen zu schauen. Sascha warf Antonio einen Blick zu, und Antonio zeigte mit dem Kinn auf das Messer, das anscheinend unbeachtet neben Morgaunt lag.
Weiterreden! Antonio formte die Worte nur mit den Lippen.
Das war eine gute Idee, dachte Sascha. Denn selbst wenn sie Morgaunt nicht lange genug ablenken konnten, um an das Messer zu gelangen, vergrößerten sie doch Wolfs Chancen, Morgaunt zu überrumpeln.
»Ja, aber wie haben Sie es eigentlich geschafft, den Dibbuk zu rufen?«, fragte er.
Morgaunt wandte sich wieder Sascha zu und grinste. »Gute Frage, Mr Kessler, aber die Antwort läuft bei uns Börsenzauberern unter der Rubrik Berufsgeheimnis.«
Sascha überlegte verzweifelt, was er noch fragen könnte. »Und was geschieht mit Edison?«
»Du enttäuschst mich«, höhnte Morgaunt. »Zwar war mir klar, dass nur ein hoffnungsloser Romantiker für Wolf arbeiten kann. Aber ich wusste nicht, dass du auch heuchlerisch bist. Mal ehrlich, Sascha, wie viel ist dir wirklich an Thomas Edison gelegen?«
Der Rauch wurde unerträglich. In der Mitte des Theatersaals löste sich ächzend ein schwerer Dachbalken und stürzte mit lautem Getöse ins Parkett. Er zerdrückte das Gestühl zweier Sitzreihen und verwandelte die Trümmer in züngelnde Lohe.
»Jedenfalls will ich nicht, dass er stirbt«, protestierte Sascha schwach.
»Warum nicht?«, fragte Morgaunt mit einer Stimme, aus der reine Neugierde sprach. »Weil du seinen Tod nicht willst oder weil du dich nicht schuldig fühlen willst?«
Darauf wusste Sascha nichts zu entgegnen.
»Selbstverständlich gibt es noch einen anderen Ausweg«, meinte Morgaunt beiläufig. »Du könntest dich der Polizei stellen und gestehen, den Brand gelegt zu haben.«
»Was?«, rief Sascha entsetzt.
»Genau das hätte der Dibbuk getan, wenn es ihm gelungen wäre, dich zu töten. Deine Sturheit hat mir schon viel Ärger beschert. Immerhin halte ich die Lage noch nicht für aussichtslos. Wenn du alle dir verbleibenden Möglichkeiten durchgehst, musst du einsehen, dass dies sogar die humanste Lösung ist. Wolf würde zwar sein Amt verlieren, aber er bliebe am Leben und behielte seine unsterbliche Seele. Mehr noch, ich wäre nicht gezwungen, an deiner unglücklichen Familie ein Exempel zu statuieren.«
Erst jetzt, da J.P.Morgaunt im Körper eines anderen Mannes steckte, erkannte Sascha die wahre Natur und Macht des Wall-Street-Zauberers. Ein Mann, der es mit der Ehrlichkeit nicht so genau nahm, hätte Sascha geschmeichelt, oder er hätte behauptet, Wolf werde nicht in Schande entlassen werden, oder er hätte ihm vorgelogen, was für Macht er ihm, Sascha, verleihen und welche Wohltaten er über seiner Familie ausschütten würde. Doch Morgaunt gab sich dazu nicht her. Er legte ihm mit unbezwingbarer Logik seine Pläne dar und vermittelte Sascha so das Gefühl, dass es dumm und sentimental wäre, sich ihm nicht anzuschließen.
Sascha suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus der Zwickmühle. Morgaunt wartete geduldig wie ein Schachspieler, der seine Züge im Voraus berechnet hatte und sich seines Sieges sicher war, ganz gleich, was sein Gegner jetzt noch versuchen würde. Sascha öffnete den Mund für eine Antwort, von der er selbst noch nicht wusste, wie sie lauten würde.
Und er sollte es auch nie herausfinden, denn im gleichen Augenblick stürzte Wolf in das Theater.
Morgaunt war gewappnet. Er zog die in die Höhe züngelnden Flammen wieder herab – so wie er damals in der Bibliothek den Zauber aus der Luft
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