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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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aufzulösen, bis er wieder in seiner Alltagsgestalt vor ihm stand.
    Er beugte sich zu Sascha herab. »Entschuldige, du hättest mich noch nicht so sehen sollen. Ich wusste, dass du für diesen Anblick noch nicht bereit warst, aber ich hatte keine andere Wahl. Geht es wieder?«
    Hinter Wolf bemühten sich Männer der Rettungsmannschaft um Edison und Antonio. Lily und Payton waren ebenfalls da. Sogar Teddy Roosevelts sonore Stimme war ihm Hintergrund zu hören. Jemand musste einen Schutzzauber über den Theatersaal gelegt haben, denn nun stürzten keine Dachbalken mehr herab und die Flammen hatten ihre züngelnde Wut verloren und schienen nur noch in der Ferne wie hinter einer Glasscheibe zu brennen.
    »Sag doch etwas, Sascha.«
    »Morgaunt – hat mir gesagt –, er hat mir gesagt, dass ich …, dass Sie …« Er brachte das Wort Magier nicht über die Lippen.
    »Und, glaubst du das?«
    »Aber ich kann doch gar nicht zaubern«, protestierte Sascha. »Ich habe nie in meinem Leben gezaubert!«
    »Wirklich nicht?« Wolfs Stimme war sanft und doch brachte sie ihn zum Verstummen.
    Er dachte daran, wie Shen gerade in dem Augenblick, als er sie brauchte, aufgetaucht war; er dachte an den Lumpensammler, der ihn immer wieder gerettet hatte; und er dachte daran, wie oft er das magische Pulsieren der Stadt um sich herum gespürt hatte. War ihm das alles nur zugestoßen oder hatte er es irgendwie bewirkt?
    »Schön. Aber ich will das nicht noch einmal tun. Ich kann …«
    »Nein, du kannst nicht. Du hast keine Wahl. Ich musste das auch lernen, als ich in deinem Alter war. Du kannst nur entscheiden, ob du die Magie beherrschst oder ob die Magie dich beherrscht.«
    »Warum haben Sie mir das nicht gesagt?«
    »Weil du dafür noch nicht bereit warst. Und ich habe befürchtet, dass deine Gabe des Zweiten Gesichts für dich alles noch schwerer machen würde.«
    »Ich schaff das schon«, sagte Sascha halblaut.
    »Ja, ich weiß, du wirst das schaffen. Aber jetzt lass uns von hier weggehen.«
    Wolf streckte Sascha die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen – doch Sascha schreckte zurück und legte die Hände schützend vor das Gesicht. Wolf blieb einen langen Augenblick über ihm stehen, als wartete er darauf, dass Sascha ihn wieder ansah. Dann seufzte er und ging fort.
    Als Sascha schließlich den Kopf hob, standen Lily und Payton vor ihm. Sie halfen ihm auf die Beine und gemeinsam folgten sie der Rettungsmannschaft auf ihrem Weg durch das brennende Theater.
    Irgendwie entkamen sie den Flammen und gerieten draußen in einen Straßenkarneval. Mit jeder Sekunde kamen weitere Menschen herbei. Fliegende Händler verkauften Hotdogs und geröstete Erdnüsse. Ein besonders geschäftstüchtiger Mann hatte sich vor das Tor zum Hotel gestellt und hielt ein Schild mit der Aufschrift EINTRITT ZU DEN BRENNENDEN TRÜMMERN : 10 CENT hoch. Der Brand, der als Tragödie begonnen hatte, geriet nun ziemlich rasch zum Spektakel. Das Ende des Hotels Elefant war zu einer Attraktion des Rummels in Coney Island geworden.
    Eine Gruppe von Inquisitoren führte die Rettungsmannschaft die Treppe hinunter und begleitete sie durch die Menge. Im Blitzlichtgewitter riefen ihnen Reporter Fragen zu. Als Nächstes mussten Sascha, Lily und Antonio die Hand des Bürgermeisters schütteln, und dann wurden sie, vorbei an einem ganzen Pulk von Journalisten, zu einer Begegnung mit J.P.Morgaunt geführt.
    »Herzlichen Glückwunsch«, sagte Morgaunt während er Saschas Hand schüttelte. »Du hast die Heldenrolle gespielt.«
    Morgaunts stahlgraue Augen bohrten sich in Saschas. »Du hast die Heldenrolle gespielt« – das sagte er so freimütig und direkt, dass nur Sascha die verborgene Bedeutung dieser Worte begriff.
    Morgaunt genoss seine Macht. Er forderte Sascha heraus, ihn anzuklagen, wie er vorher Wolf herausgefordert hatte. Ihm war es eine Genugtuung zu sehen, dass Sascha über ihn Bescheid wusste und doch nichts dagegen tun konnte.
    »Ich, äh, ich habe nur meine Pflicht getan«, stammelte Sascha. Er hätte gern seine Hand aus Morgaunts Griff gelöst, aber sie steckte so fest wie in einem Schraubstock.
    In Morgaunts Augen schimmerte der Anflug eines Lächelns. »Inquisitor Wolf kann sich glücklich schätzen, so zuverlässige Lehrlinge zu haben. Pentacle Industries hätte gern solch einen jungen Mann wie du. Einen, der den Mumm hat, Gefahren auf sich zu nehmen, und sich nicht aus Furcht vor dem eigenen Schatten dauernd umdreht.«
    Sich dauernd umdreht? Furcht vor dem eigenen

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