Der Seelenfänger (German Edition)
zurück in sein Whiskyglas gebannt hatte – und schleuderte sie Wolf entgegen.
Wolf schien auf den Angriff nicht vorbereitet. Zu Saschas Schrecken hatte er sogar die Brille abgenommen. Wollte er erst einmal die Gläser an seinen Hemdschößen putzen und überlegen, wie er sich wehren könnte?
Im letzten Augenblick, als der Feuerball schon auf ihn zuraste, schaute er auf.
Er vollbrachte keinen sichtbaren Zauber, sondern stand nur da und betrachtete Morgaunt mit Augen, die so grau waren wie der East River im Januar. Doch Sascha sah alles – er sah es mit dem Zweiten Gesicht, von dem er nun wusste, dass es eher ein Fluch als eine Gabe war.
Morgaunt wankte unter Wolfs magischem Gegenangriff, doch er ging nicht zu Boden. Wieder machte er die Geste, mit der er die Flammen herabbeschworen hatte, nur versammelte er jetzt die Macht der draußen vor dem brennenden Theater stehenden Menge. Die Furcht und der Schrecken der Menschen wogte wie elektrischer Strom durch die Luft. Und Morgaunt zwang ihn herab, machte ihn zu seiner Waffe und lenkte ihn um.
»Unterstehen Sie sich!«, sagte Wolf so leise, dass es Sascha über dem Tosen des Feuers kaum hörte. »In dieser Stadt gibt es Mächte, vor denen Sie sich fürchten sollten.«
Doch Morgaunt lachte nur.
»Es tut mir leid«, sagte Wolf und schien mehr zu Sascha als zu Morgaunt zu sprechen.
Der Raum um Wolf begann zu pulsieren. Sascha hatte etwas Ähnliches schon einmal gesehen, als die Straßen von New York vor dem Auftauchen des magischen Lumpensammlers erbebt waren. Plötzlich stand Wolf eine geschlossene Reihe geisterhafter Gestalten zur Seite. Zu ihnen gehörte Shen, deren Schatten aber hell war wie Sonnenschein, der durch Wolken sickert, also das Gegenteil von Dunkel. Weitere Schatten überragten Wolf wie Riesen. Ihre Gesichter kamen Sascha bekannt vor, so als wären sie vertraute Gestalten seines Lebens: der Lumpensammler, der sich wie ein apokalyptischer Reiter auf den Rücken seines Gauls geschwungen hatte, ein zerlumpter Bettler, dessen Gesicht sich ständig veränderte und der allen und niemandem ähnlich sah, eine blasse Frau in Weiß mit einem unbeschreiblich traurigen Gesicht.
Aber die Magie, die Wolf versammelt hatte, reichte nicht. Morgaunts gestohlene Macht war stärker, ja sie wuchs sogar noch mit jedem Neugierigen, der zu der Menge vor dem Theater stieß.
Wolf wankte. Er ließ seine Brille fallen, die Gläser zerbrachen mit einem Knall wie Büchsenschüsse.
Instinktiv trat Sascha vor, um Wolf zu helfen, Antonio und er verständigten sich mit einem kurzen Blick, und dann stürzten sich beide auf das Messer.
Sascha erwischte es als Erster. Er hob es auf und richtete es auf Morgaunt, doch der wich im letzten Augenblick aus, und der Hieb ging ins Leere. Dann legte Morgaunt seine mächtige Hand über Saschas Hand und drückte ihm mit solcher Kraft die Finger zusammen, dass ihm das Messer zu entgleiten drohte.
Da griff Antonio Morgaunt an, aber der schüttelte ihn mit einem Schulterzucken ab. Antonio landete auf dem Bretterboden und blieb bewegungslos liegen.
Sascha ließ das Messer nicht los, sein Blick blieb auf den blitzenden Stahl der Klinge geheftet. Doch seine Finger wurden gefühllos, lange konnte er Morgaunts Griff nicht standhalten.
Morgaunt drückte das Messer näher und näher an Saschas Hals. Als es nur noch einen Zollbreit entfernt war, wusste sich Sascha nicht anders zu helfen: Er schnappte mit den Zähnen nach Morgaunts Hand und biss sich darin fest.
Morgaunt schrie auf. Er hob Sascha in die Luft und warf ihn dröhnend zu Boden. Sascha schwindelte es, seine Knie wurden weich …
Dann stürzte sich Wolf über beide und zwang Morgaunt, den Kopf so zu drehen, dass er Wolf in die Augen blicken musste.
Plötzlich wollte Sascha nie wieder Magie am Werk sehen. Er verstand jetzt, warum normale Menschen die Inquisitoren fürchteten und ihnen misstrauten und warum gewöhnliche Beamte der Inquisitionsabteilung Wolf fürchteten und ihn mieden. Und ab diesem Abend würde er sich, ganz gleich, wie lange er mit Wolf zusammenarbeitete oder ihm vertraute, vor diesem Mann doch immer fürchten.
Sascha sah genau, als sich Morgaunt geschlagen gab. Eben noch besaß er den Körper des Feuerwehrmannes, im nächsten Augenblick musste er ihn verlassen, und der Feuerwehrmann sackte mit verblüffter Miene zu Boden.
Eine Weile stand Wolf wie ein Racheengel über dem niedergestreckten Körper. Dann schien er vor Saschas Augen zu schrumpfen und sich in Luft
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