Der Seelenfänger (German Edition)
ging die Tür auf, und herein trat ein Mädchen.
Und nicht irgendeines. Ein reiches Mädchen. Alles an ihr strahlte alten Geldadel aus, vom handgearbeiteten Spitzenbesatz ihres Kleides bis zum hochmütigen Ausdruck ihres aristokratischen Gesichts.
Ihr kühler Blick durchmaß den Raum, taxierte Sascha als zu unbedeutend, um sich mit ihm aufzuhalten, und ruhte dann auf Payton. »Es tut mir leid, ich bin spät dran«, sagte sie. »Der Verkehr war so unglaublich, dass sich Mamas Automobil überhitzt hat. Wir mussten auf der 59 th Street warten, bis sich der Motor wieder abgekühlt hatte. Erst dann konnten wir neu starten.«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, beruhigte sie Payton – und Sascha bemerkte, dass er ihr sein freundlichstes Lächeln schenkte. »Inquisitor Wolf ist schon den ganzen Morgen mit seinen Fällen beschäftigt und hat noch keine Zeit gefunden, mit den neuen Mitarbeitern zu reden. Setzen Sie sich doch.«
Das Mädchen räusperte sich dezent und schaute auf den einzigen Stuhl im Zimmer – und auf dem saß Sascha. Der sprang sofort auf, als hätte jemand Feuer unter ihm gelegt.
Das »Danke schön«, das er von ihr erhielt, war kein Zeichen der Dankbarkeit. Vielmehr klang es so, als ob sie es für das Mindestmaß an Höflichkeit hielt, dass ein männliches Wesen einer Dame seinen Stuhl überließ, dass es aber für einen wie Sascha vermutlich zu viel verlangt war.
Umso überraschter war er, als sie ihm vor dem Platznehmen die Hand schüttelte: »Ich bin Lily Astral.«
Lily Astral? Sascha fiel die Kinnlade herunter.
Sie hob amüsiert die schmalen Augenbrauen. »Nach den gültigen Höflichkeitsregeln solltest du dich jetzt vorstellen.«
»Äh … Sascha Kessler.«
»Etwa der, von dem ich in der Zeitung gelesen habe?« Sie sah ihn neugierig an. »Der wandelnde Magiedetektor?«
»Ich glaube schon.« So viel hatte doch gar nicht über ihn in der Zeitung gestanden. Und doch schien jeder hier bereits alles über ihn zu wissen. Und alle maßen ihn mit demselben scheelen Blick, den er auch in Lily Astrals blauen Augen bemerkte. Alle sahen ihn an, als gehöre er zu einer Kuriositätenschau auf dem Rummelplatz von Coney Island.
»Wie, du glaubst?«, fragte Lily Astral. »Weißt du es denn nicht? Und wie erkennst du überhaupt, dass jemand Magie anwendet?«
»Ich merke es eben. Ich kann das nicht beschreiben. Leute sehen anders aus, wenn sie zaubern.«
Die blauen Augen verengten sich. »Aber nur wenn sie gerade zaubern?«
»Ja, genau.«
»Die übrige Zeit über sehen sie ganz normal aus?«
Er nickte unwillig.
»Dann kannst du also gar keine Zauberer und Hexen erkennen, richtig? Du kannst nur den Zauber erkennen.« Sie setzte sich und kreuzte zierlich die weiß bestrumpften Füße. »Das hört sich gar nicht mehr so beeindruckend an.«
In dem Augenblick beschloss Sascha, dass er Lily Astral hasste.
Während er noch bei sich die Gründe dafür aufzählen wollte, ging die Tür des Büros auf, und Wolf erschien.
6 Inquisitor Wolf
Das Erste, was Sascha an Maximilian Wolf bemerkte, war genau das, was alle an ihm bemerkten: nämlich nichts.
In einer Stadt wie New York war Zauber alltäglich. Jede kleine Verkäuferin, jeder Vertreter kaufte sich ein bisschen Glanz und Charme, um ein Verkaufsgespräch zum Abschluss zu bringen oder vor Konkurrenten die Nase vorn zu haben. Ganz legal war das nicht, aber es half. Und New Yorker waren zu ehrgeizig, um auf solche unlauteren Mittel zu verzichten.
Inquisitor Wolf hielt solche Hilfsmittel wohl für unnötig. Ja, fast schien es so, als vermied er peinlich allen zauberischen Glanz. Seine langen, dünnen Beine steckten in schlotternden Hosen, die nie ein Schneideratelier von innen gesehen hatten, geschweige denn durch Zaubererhand gegangen waren. Sein Jackett hing wie der Lumpensack einer Vogelscheuche auf seinen knochigen Schultern. Seine Brillengläser starrten vor Schmutz und Fingerabdrücken. Und aus seinen spülwassergrauen Augen fiel ein Blick auf Sascha – sofern er das durch die trüben Gläser überhaupt erkennen konnte –, der so schläfrig und geistesabwesend wirkte, als würde Wolf an diesem Montagmorgen immer noch auf etwas warten, was das Aufwachen lohnte.
Das einzige halbwegs Interessante an Maximilian Wolf war die erstaunlich große Anzahl an Essensflecken auf seiner Krawatte.
»Ähem …«, machte Wolf und sah dabei Sascha und Lily an, als suche er nach passenden Worten, um sie zu fragen, was sie hier eigentlich machten.
»Ihre
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