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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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merkte er, dass er höchstens sechzehn oder siebzehn sein konnte. Und doch wirkte er so selbstsicher – und so tadellos angezogen –, dass sich Sascha neben ihm wie ein Schmuddelkind vorkam. Was tat er hier? Er war doch nicht etwa Inquisitor? Er musste wohl so etwas wie ein Sekretär sein, entschied Sascha.
    »Nimm doch Platz«, sagte der Sekretär, ohne von der Akte, in die er schrieb, aufzusehen.
    Sascha sah sich nach einem Stuhl um, aber der einzige, den er entdeckte, war unter einem Stapel Akten begraben. Sascha nahm die Akten vom Stuhl und überlegte, wohin er sie legen sollte. Oben auf dem Stapel lag eine Akte mit der Aufschrift CHINATOWN ( UNSTERBLICHE VON ).
    Er zögerte, zu gern hätte er hineingeschaut. Aber er war sich nicht sicher, ob der Sekretär ihn beobachtete, deshalb stellte er den Stapel vorsichtig auf dem Fußboden ab, nahm auf dem Stuhl Platz und wartete.
    Er musste lange warten. Während die Minuten langsam vorüberkrochen, wurde Sascha unruhig. Wusste der junge Mann, dass Sascha der neue Lehrling war? Wusste Inquisitor Wolf, dass Sascha hier auf ihn wartete? Würde er ihn für sein Zuspätkommen tadeln? War Sascha überhaupt im richtigen Büro?
    Sascha räusperte sich.
    »Ja?«
    »Ach, nichts.«
    »Auch recht.«
    Da nichts von Sascha erwartet wurde, betrachtete er das überwältigende Aktengebirge.
    Es leuchtete sofort ein, dass Aufschriften wie SCHAMANEN , TODESFEEN und ZAUBERERUTENSILIEN ( ILLEGALER HANDEL MIT ) etwas mit Magie zu tun hatten. Aber wie war das mit GARDEROBENQUITTUNGEN und SPAZIERSTÖCKE ? Und wer war TATTERED TOM und DIE FRAU IN WEISS ? Und was hatte man unter STRASSENKREUZUNGEN ( VERKAUF VON ARTIKELN AN ) abzulegen?
    Sascha fuhr mit dem Finger an den Aufschriften der Ordner entlang, bis er an einem ihm geläufigen Namen haltmachte: HOUDINI .
    »Warum gibt es hier eine Akte über Harry Houdini?«, fragte er in einem lässigen Tonfall, der ihn als Kenner ausweisen sollte. »Er ist gar kein echter Zauberer. Ich habe mal eine Vorstellung besucht, alles nur Tricks, mit echter Zauberei hat das nichts zu tun.«
    »Und das ist deine Meinung als Experte?« Der Sekretär sagte das mit amüsiertem Unterton.
    »Ja, schon.«
    »Heißt das, dass alle anderen Zauberkünstler, die du gesehen hast, echte Magie verwendet haben?«
    »Na ja …«
    »Zauberkünstler verwenden nie echte Magie in ihren Vorstellungen. Das ist eine Frage der Berufsehre. Schließlich kann jeder miese Hinterhofzauberer wirklich ein Kaninchen in einem Zylinder verschwinden lassen. Aber nur so zu tun, als ob, das ist die Kunst.« Der junge Mann zuckte ironisch mit den Mundwinkeln. »Aber das wirst du selbst wissen, da du dich ja so gut mit Magie auskennst.«
    »Äh, ja, selbstverständlich.« Sascha setzte sich zurück auf seinen Platz.
    Dann fasste er wieder Mut und fragte: »Verzeihung, aber mir ist eingefallen, dass wir uns noch gar nicht vorgestellt haben.«
    »Ja, in der Tat.«
    »Ich bin Sascha Kessler.«
    »Und ich bin Philip Payton.« Payton lächelte – ein wirklich freundliches Lächeln –, und Sascha sagte sich, wie dumm es gewesen war, sich so einschüchtern zu lassen.
    »Und was, äh, machst du hier eigentlich?«
    Das Lächeln erlosch augenblicklich wie ein ausgepustetes Kerzenlicht. »Was soll das heißen?«
    »Oh, nichts! Ich dachte nur, äh, ich meine, arbeitest du für Inquisitor Wolf?«
    »Glänzend kombiniert. Aus dir wird noch ein Starinquisitor. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss diesen Bericht vor der Mittagspause fertig haben.«
    »Weiß denn Inquisitor Wolf, dass ich hier bin?«
    Payton seufzte tief, ging zur geschlossenen Tür hinter seinem Schreibtisch und öffnete sie gerade so weit, um den Kopf in das anstoßende Zimmer zu stecken. »Entschuldigen Sie die Störung, aber Sascha Kessler bittet mich, Ihnen zu sagen, dass er angekommen ist. Er meint wohl, dass Lehrlinge einen Bonus für Pünktlichkeit erhalten.«
    Sascha hörte ein unverständliches Gemurmel nebenan.
    »Noch nicht«, antwortete Payton.
    Weiteres Gemurmel.
    »Ich weiß ja. Aber er lässt mir keine Ruhe.«
    Sascha machte sich ganz klein.
    Dann schloss Payton die Tür wieder und sagte zu Sascha: »Inquisitor Wolf lässt ausrichten, dass er Bescheid weiß, dass er aber abwarten möchte, bis der andere Lehrling eingetroffen ist.«
    Der andere Lehrling? Nie im Leben wäre Sascha eingefallen, dass es noch einen anderen Lehrling geben könnte. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Während er noch darüber nachdachte,

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