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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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nicht tun. Zu welcher Sorte gehörst du?«
    Lily zwinkerte verdutzt. »Ich …, ich glaube, ich gehöre zu den Zuschauerinnen.«
    »Das höre ich nicht gern«, sagte Wolf aufgeräumt. »Neugier auf Makabres ist ein schlimmer charakterlicher Makel bei einer jungen Dame. Aber vom beruflichen Standpunkt durchaus vielversprechend. Damit bist du angestellt. Vor allem, weil dein Vater mich sonst aus dem Amt vertreiben würde.«
    Während Lily dies erst noch verdauen musste, wandte sich Wolf wieder an Sascha. »Und du? Du hast keine reiche Verwandtschaft. Warum sollte ich dich einstellen?«
    »Na ja«, stotterte Sascha, »weil ich … wie Sie vielleicht wissen … Magie erkennen kann.«
    Wolf ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken und kreuzte die Arme vor der Brust. Er trug immer noch eine völlig ausdruckslose Miene zur Schau, aber Sascha hatte den Eindruck, dass er sich über sie beide lustig machte.
    »Mir scheint«, sagte er, »von euch beiden bringst du die Voraussetzungen für einen Lehrling mit. Miss Astral hat den brennenden Ehrgeiz, Inquisitor zu werden, aber«, und nun lehnte er sich vor und beugte sich über die Akte, »sie hat keine magischen Talente. Zumindest keine, zu denen sie steht. Du dagegen hast Talent im Übermaß, scheinst aber nicht zu wissen, was du hier eigentlich willst. Oder habe ich da etwas nicht mitgekriegt?«
    Wolf nahm die Brille ab und hielt sie gegen das Licht, als suchte er nach einem Angriffsplan, wie gegen die verschmierten Gläser vorzugehen war. Er nahm den Hemdzipfel, der ihm sowieso schon aus der Hose hing, und begann, damit die Gläser zu putzen – oder vielmehr, er verteilte den Schmutz, denn das Hemd sah aus, als hätte Wolf schon seit einer Woche darin geschlafen.
    Wieder wurde die Stille bedrückend. Sascha spürte, wie Lily ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. »Ich, äh …«, stotterte er. »Ich möchte Zauberverbrechen bekämpfen. Und, äh, die Unschuldigen schützen und verteidigen.«
    Wolf schaute Sascha geradewegs in die Augen – und Sascha lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Nach der Dicke seiner Gläser zu urteilen, hätte er die trüben Augen eines Kurzsichtigen erwartet. Doch Wolfs Augen waren klar wie Eis und scharf wie Messer. Ja, Sascha hätte eine hohe Summe gewettet, dass Wolf gar keine Brille brauchte.
    Dann war der Moment vorbei. Wolf setzte wieder seine Brille auf – die übrigens keine Spur sauberer war als vorher – und sah wieder durchschnittlich und unauffällig aus. Saschas Antwort hatte ihn enttäuscht.
    Sascha überlief heiße Scham. Was erlaubte sich Wolf, ihn so abzuurteilen? Für wen hielt sich Lily Astral? Was wussten die beiden denn von seinem Leben und den Gründen, die ihn hierhergeführt hatten?
    »Meine Familie braucht das Geld!«, platzte es mit einem Mal aus ihm heraus. »Ist daran etwas verkehrt?«
    Wolf senkte den Blick wieder und las in der Akte, sodass Sascha der Ausdruck seiner Augen verborgen blieb. Aber ein Mundwinkel zeigte deutlich nach oben und kam einem Lächeln verdächtig nahe. »Daran ist ganz und gar nichts verkehrt«, sagte er leise. »Vor allem aber sagst du damit zum ersten Mal die Wahrheit.«
    Und jetzt zeigte Wolf ein unmissverständliches Lächeln. Es war ein echtes, ehrliches Lächeln, voller Klugheit und Humor und ohne jede Spur von Gemeinheit. Einem Mann mit solch einem Lächeln, dachte Sascha, würden die Menschen überall folgen.
    Payton steckte den Kopf durch die Tür: »Eine Nachricht von Polizeipräsident Keegan«, meldete er. »Sie sollen bitte in J.P. Morgaunts Haus kommen. Der Polizeipräsident wartet dort schon auf Sie. Er scheint ziemlich ungehalten zu sein.«
    Wolf hob eine Augenbraue. »Seit wann schätzt Mr Morgaunt Polizeibesuche in seinem Haus?«
    »Wahrscheinlich seit er Polizeipräsident Roosevelt aus der Stadt vertrieben hat«, spekulierte Payton.
    »Auf eine Safari nach Afrika geschickt zu werden«, meinte Wolf mit mildem Spott, »noch dazu in Begleitung von drei französischen Köchen und einer Herde Polopferden erfüllt wohl kaum den Tatbestand der Vertreibung. Die meisten Leute würden das für ein spannendes Abenteuer halten.«
    »Aber nicht die meisten New Yorker«, schnaubte Payton verächtlich.
    Wolf hustete, als hätte er etwas in die falsche Kehle bekommen. Dann schob er seinen hageren Körper hinter dem Schreibtisch hervor, schlurfte zu dem schmutzigen, am Boden liegenden Mantel und legte ihn sich über die Schultern. »Der Polizeipräsident erwartet sicherlich, dass ich

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