Der Seelenfänger (German Edition)
aufgefallen, wie blond die beiden Mädchen waren. Und dass die Buchstaben des Wortes »amerikanisch« viel kräftiger und glänzender waren als die Buchstaben der anderen Wörter. So als sollte damit angedeutet werden, dass andere Unterhaltung und die Leute, denen so etwas gefiel, weniger amerikanisch waren als jene, die sich einen tragbaren Heim-Phonographen von Edison kauften.
Sascha war das auf einmal unheimlich. Schlimmer noch, es erinnerte ihn an Bekas spöttische Frage, wer denn schon jemals von einem jüdischen Inquisitor gehört hätte?
Darüber grübelte er immer noch, als er die Schalterhalle der Inquisitorenabteilung der New Yorker Polizei betrat.
Auf den ersten Blick unterschied sich die Inquisitorenabteilung nicht von anderen Polizeiwachen. Hohe Decken, schmutzige Wände, die im behördenüblichen Grün gestrichen waren. Steinfußboden, den Auswurf, Zigarettenkippen und Tabakreste verunzierten. Eine lange Theke trennte den Raum in zwei Hälften. Auf der einen Seite der Wartebereich, in dem dicht gedrängt Opfer und Verbrecher auf harten Bänken hockten. Auf der anderen Seite der bürokratische Apparat: Zwei Dutzend Daktylotypistinnen in schmucken weißen Blusen hämmerten dort auf ihren Schreibmaschinen. An der Theke schließlich standen die Inquisitoren, die teils miteinander plauderten, teils mit den Schreibmaschinenfräuleins schäkerten und sich so die Zeit vertrieben, bis der zuständige Beamte die Personalien der Tatverdächtigen aufgenommen hatte. Einige trugen Uniform, andere waren in Zivil. Die meisten sahen irisch aus, aber alle machten einen solchen Eindruck auf Sascha, dass er sich nur einen scheuen Seitenblick erlaubte.
Spätestens nach einer Begutachtung der Kriminellen auf der Wartebank wurde Sascha klar, dass dies keine gewöhnliche Polizeiwache war. Die Gesichter sahen aus wie aus einem Katalog für Zaubervergehen entnommen. Da saßen Pferdeflüsterer mit Schiebermütze und zerknitterten Kordhosen neben tintenfleckigen Zauberspruchschreibern aus allen Winkeln Europas. Ein glatt rasierter Handelsvertreter, der eine ledergebundene Ausgabe der Encyclopedia Britannica mit sich herumschleppte, machte ein so unschuldiges Gesicht, dass seine Verhaftung nur ein schreckliches Versehen sein konnte. Doch die Polizisten schienen ihn gut zu kennen, offenbar war es nicht sein erster Besuch in dieser Halle. Sascha hielt ihn für einen Geisterbeschwörer. Er vermutete, dass die Lexikonbände sich in Ratten (oder noch Schlimmeres) verwandelten, sobald die letzte Rate bezahlt war.
Tatsächlich schienen die meisten Verdächtigen nicht zum ersten Mal hier zu sein. Es wirkte eingeübt, wie sie unter leisem Klicken der Fußketten auf der Bank vorrückten, wenn der Schalterbeamte mit der Aufnahme der Personalien eines Verdächtigen fertig war und »Der Nächste!« rief.
Im Augenblick kam der Sergeant am Schalter nicht recht voran, da er Mühe hatte, den Streit zwischen einem dürren kleinen Mann und einer Frau mit schriller Stimme zu schlichten. Die Frau war offenbar gewillt, sich selbst Recht zu verschaffen. Der festnehmende Beamte tat sein Bestes, die beiden Streitenden auseinanderzuhalten, aber gegen den spitzen Schirm des Opfers hatte er keine Chance.
»Du schon wieder, Joey«, seufzte der Sergeant. Unterdessen hieb die empörte Frau mit dem Schirm auf den kleinen Mann ein, traf aber das Ohr des Polizisten neben ihm. »Wir sollten langsam von dir Miete verlangen.«
»Diesmal bin ich unschuldig«, rief Joey. »Ich schwöre, dass ich ihr nur das Portemonnaie abnehmen wollte!«
»Ach, komm schon, Joey. Ich bin doch nicht von gestern.«
»Ich sage die Wahrheit, Sergeant! Ich brauchte nur ein paar Dollar, um auf die Pferdchen zu setzen.«
»Dir werde ich die Pferdchen austreiben«, keifte die Frau und drohte Joey erneut mit ihrem spitzen Schirm. »Er hat mir eine Haarlocke gestohlen! Hat sie mir ausgerissen, als er so tat, als wäre er aus Versehen mit mir zusammengestoßen. Aber mir kann man nichts vormachen. Ich bin in Chicago groß geworden und erkenne einen Geisterbeschwörer auf den ersten Blick. Es beginnt mit ›Oh, pardon, Gnädigste‹, und im nächsten Augenblick kriegt er einen durch Zauberei dazu, ihm alle Ersparnisse zu überlassen.«
»Keine Sorge, gnädige Frau, wir klären das. Joey, bist du bereit, dich einem Test mit dem Lügendetektor zu unterziehen?«
Joey drückte seine schmale Brust heraus und gab den empörten tugendhaften Bürger, was freilich nicht so leicht war, wenn man
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