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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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aus dem benachbarten Naturkundemuseum rekonstruierten.
    »Was das wohl sein könnte?«, flüsterte Sascha Lily zu.
    »Das ist das automatische pferdelose Kutschenparksystem«, antwortete sie, ohne zu zögern. »Morgaunt hat davon erzählt, als er letztens bei uns zum Abendessen war. Man drückt auf einen Knopf und das gewünschte Fahrzeug rollt vom Förderband. Er hat auch schon alle seine Automobile mit einem Code aus Zahlen und Buchstaben versehen. Und er hat sich auf dem Rathaus die Rechte erworben, spezielle Schilder mit solchen Codes auszugeben. Er glaubt nämlich, dass das eine Wachstumsindustrie ist. In fünf Jahren wird jeder so ein automatisches Parksystem bei sich daheim installieren.«
    »Aber wer braucht denn so etwas?«, fragte Sascha. »Pferde kann man auf diese Weise nicht parken.«
    »Pferde gehören der Vergangenheit an«, behauptete Lily. »Zu viel Verschmutzung.«
    Sascha hatte erwartet, dass ein Butler sie ins Haus lassen würde, doch stattdessen wurden sie von einer Frau mit dunklen Augen, schwarzem Haar und olivenfarbenem Teint empfangen. Das Kleid, in das sie sich gezwängt hatte, war so eng, dass Sascha errötete.
    »Das ist Morgaunts Bibliothekarin«, flüsterte Lily, als sie in deren Schlepptau durch eine Marmorhalle gingen. Sie kamen an zwei doppelte Flügeltüren, die aus Bronze gegossen waren. »Sie heißt Bella da Serpa und behauptet, Portugiesin zu sein. Niemand weiß Genaues über sie, außer dass sie Morgaunt geholfen hat, die weltweit größte Sammlung von Zaubermanuskripten zusammenzutragen. Es geht ihm gar nicht um die Magie, nein, nein, er sammelt die Manuskripte nur wegen der Bilder.«
    Sascha hörte gar nicht mehr richtig hin, denn nun standen sie in dem berühmten Saal, den die Leute längst »die« Morgaunt-Bibliothek nannten.
    Saschas erster Gedanke war, in die Bibliothek eines Wahnsinnigen geraten zu sein. Bücher standen in Regalen, die zwei, drei, vier Stockwerke emporreichten. Schmiedeeiserne Wendeltreppen schraubten sich zu schmalen Balkonen hoch, von denen aus verschiebbare Leitern den Zugang zu noch schmaleren Balkonen erlaubten. Das Tageslicht sickerte durch hohe gotische Fenster und die eichengetäfelten Wände waren mit Tiertrophäen geschmückt. Es gab weiße Nashörner, Kodiakbären, afrikanische Löwen und bengalische Tiger, und sie alle starrten mit ihren Glasaugen auf die Betrachter herab und schienen ihnen die Frage zu stellen: »Wie könnt ihr hoffen, es mit dem Mann aufzunehmen, der uns erlegt hat?«
    Zwei Männer warteten vor dem mächtigen Kamin. Sascha erkannte zuerst Polizeipräsident Keegan, denn er stand aufrecht.
    Doch als sein Blick dann auf den anderen Mann fiel, der lässig in einem großen Ledersessel saß, wurde Sascha sofort klar, wer hier die wirkliche Macht besaß.
    Selbst Präsidenten zitterten vor James Pierpont Morgaunt – und wer ihm einmal gegenübergestanden hatte, wusste warum. Morgaunt war so groß wie Inquisitor Wolf, aber um vieles kräftiger. Der Blick aus seinen stahlgrauen Augen bohrte sich förmlich in sein Gegenüber. Sein stahlgraues Haar schien die Schärfe einer Messerklinge zu haben. Seine Hände waren glatt und makellos sauber, die Hände eines reichen Mannes. Doch als Sascha genauer hinsah, bemerkte er, dass sie so sehnig und kräftig wie die Hände eines Schwerarbeiters waren. Die Art und Weise, wie er sie benutzte, wie er etwa ein Glas Scotch hielt oder wie er beim Sprechen gestikulierte oder einen unsichtbaren Fussel von seinen makellosen Hosen schnippte, das alles flößte Sascha Angst ein, und er war sich sicher, vor J.P. Morgaunt hätte er auch Angst gehabt, selbst wenn dieser nicht der reichste Mann Amerikas gewesen wäre.
    »Sie kommen spät!«, bellte Polizeipräsident Keegan, ehe irgendjemand etwas sagen konnte.
    »Ja«, erwiderte Wolf mit tonloser Stimme. »Ich bin leider aufgehalten worden, was aber nicht zu vermeiden war.«
    Keegan sah ihn wütend an. »Ich hätte auf die Leute hören sollen, die mir geraten haben, Sie zusammen mit Teddy Roosevelt aus der Stadt zu verfrachten. Alle haben mich gewarnt, an Ihnen hätte ich noch viel zu beißen.«
    »Und haben Sie das?«, fragte Wolf mit dem leicht gelangweilten Ton eines Mannes, der Interesse für die Probleme des anderen heuchelt.
    Im Schatten des Ledersessels grunzte Morgaunt amüsiert.
    »Werden Sie jetzt nicht frech, Freundchen«, fauchte Keegan, der, wenn er wütend wurde, seine einfache Herkunft nicht verhehlen konnte. »Ich hätte Sie gar nicht gerufen,

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