Der Seelenfänger (German Edition)
meisten davon Mädchen – liefen umher und riefen sich ständig etwas auf Jiddisch, Italienisch oder Englisch zu. Ein paar bauten wackelige kleine Kartentische auf, andere packten Schachteln mit Broschüren und Blättern aus. Sie waren so begeistert bei der Sache, dass sich einige bestimmt an den scharfen Blättern schneiden würden. Wieder andere drängten sich um eine frisch aus der Presse gekommene Ausgabe des
Yiddish Daily Magic-Worker
, die ein Mädchen offenbar für die anderen ins Italienische übersetzte.
»Sind das die Streikenden?«, fragte Wolf. »Arbeiten denn keine Erwachsenen bei Pentacle?«
»Die Erwachsenen sind alle bourgeoise Reaktionäre«, sagte Moische mit einem Schulterzucken.
»Sie müssen Familien ernähren und den Lebensunterhalt verdienen.«
Wolf fuhr sich mit der Hand durch die Haare, als hoffte er, die Massage würde ihm das Denken erleichtern. »Gibt es hier einen Platz, wo man ungestört reden kann?«
»Aber gewiss«, sagte Moische und stieg einfach durch das offene Fenster.
Lily blickte verdutzt hinter ihm her.
»Nun?«, fragte Moische. Er stand schon auf der Feuertreppe. »Folgen Sie mir?«
»Puh«, machte Lily leise zu Sascha. »Ich wusste ja nicht, dass sich dahinter eine Feuertreppe verbirgt. Zuerst dachte ich, er würde davonfliegen.«
Sascha sah sie ungläubig an.
»Schließlich sind es doch magische Werktätige, oder?«
»Ja, aber Magier fliegen nicht«, stellte Sascha in schneidendem Tonfall fest. »Du hast offenbar zu viele Groschenhefte gelesen.«
»Das ist doch lachhaft! Was weißt du denn schon über Magier?«
Sascha hatte Lily Astrals arrogante Besserwisserei allmählich satt. »Deutlich mehr als eine Debütantin von der Fifth Avenue, die nur dank der Beziehungen ihres Vaters Inquisitor Wolf erweicht hat, sie zum Spaß einmal Ermittler spielen zu lassen.«
Lily zischte vor Empörung, doch Sascha war schon aus dem Fenster auf die Feuertreppe gestiegen.
Draußen genoss Sascha die frische Luft und die Ruhe oder vielmehr die relative Ruhe, denn Moische war schon dabei, Wolf die Ohren vollzureden, wie der Streik bei Pentacle der Verschwörung der Hochmagie, die den magischen Werktätigen immer nur knechten wolle, einen Denkzettel verpassen würde.
Wolf gelang es aber, das Gespräch wieder auf J.P. Morgaunts Anschuldigung zu bringen.
»Sie machen wohl Witze!«, rief Moische, als er endlich begriffen hatte, worum es Wolf ging. »J.P. Morgaunt beschuldigt mich, Thomas Edison ermordet haben zu wollen? Etwas Dümmeres habe ich noch nie gehört. Was haben Sie vor? Wollen Sie mich ins Gefängnis stecken und dann den Schlüssel wegwerfen und warten, bis Morgaunt Sie bittet, ihn wiederzubeschaffen?«
»Sicherlich nicht.«
»Und warum nicht?« Moische klang beleidigt, so als habe er erwartet, verhaftet zu werden.
»Weil ich keine Kinder in Haft nehme.«
Moische stemmte die Hände in die Hüften und funkelte Wolf zornig an. Er wollte den Eindruck erwecken, dass er gefährlich war und es verdiente, verhaftet zu werden. Wenn da nicht seine Sommersprossen, sein Rotschopf und seine unglaublich dünnen Arme und Hände gewesen wären. Kurz, man hatte Mühe, sich das Lachen zu verkneifen.
Wolf gelang es zwar, eine ernste Miene beizubehalten, aber ein verdächtiger Husten hatte ihn doch befallen. Schließlich fragte er nach der Sache mit dem Dibbuk.
»Dibbuk, Humbug«, höhnte Moische. »Von einem Dibbuk kann nicht die Rede sein.«
»Wieso meinen Sie das?«
»Das ist doch sonnenklar. Morgaunt hat mit dem Dibbuk eine falsche Spur gelegt, um die Leute von dem eigentlichen Verbrechen abzulenken.«
»Und das wäre?«, fragte Wolf gespannt.
»Ja, was? Morgaunts magisches Verbrechen selbstverständlich. Er betreibt magische Ausbeutung!«
»Ach so.« Wolf seufzte. »Das meinen Sie.«
»Jeder weiß doch, dass er die Inquisitoren besticht, damit sie vor seinen Verbrechen die Augen verschließen.« Moische fuhr mit seiner Tirade fort, ohne von Wolfs enttäuschter Miene Notiz zu nehmen. »Dann werden die Familienbetriebe ruiniert und alle seine Konkurrenten aus dem Feld geschlagen. Und wenn ihm der Coup mit dem Ätherographen gelingt, wird es noch schlimmer. Magische Werktätige werden zu Flüchtlingen. Ihnen wird nichts anderes übrig bleiben, als jede noch so schäbige Arbeit anzunehmen, andernfalls werden die Inquisitoren sie verhaften. Eins sage ich Ihnen: Einer muss aufstehen und ihm die Stirn bieten, sonst …«
»Schön, aber um wieder auf den Dibbuk zurückzukommen
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