Der Seelenfänger (German Edition)
Wolf ihm geschickt hatte. »Dibbuks«, sinnierte er laut. »Eigentlich nicht mein Spezialgebiet, mein Herr. Aber ich habe in der rabbinischen Literatur gestöbert, ob ich nicht etwas Nützliches für Sie ausgraben könnte.«
»Dafür bin ich Ihnen sehr verbunden.« Wolf spielte wieder ganz die Rolle des sich taktvoll zurückhaltenden Butlers.
»Aber sagen Sie«, und dabei beugte sich Mendelsohn vertrauenheischend vor, »hat das mit einem Kriminalfall zu tun? Hat irgendein Kerl mit schlichtem Gemüt eine Gewalttat begangen, in dem Wahn, sich gegen einen Dibbuk wehren zu müssen?«
»Leider darf ich Ihnen keine Auskunft geben, weil die Ermittlungen noch im Gang sind.«
Bis auf ein leichtes Zucken unter dem rechten Auge verbarg Mendelsohn seine Enttäuschung gut. »Ich werde Ihnen jedenfalls helfen, wo ich kann. Und Sie können sich auf meine Diskretion verlassen.«
»Das höre ich gern«, versicherte ihm Wolf.
»Diskretion ist gerade in diesem Fall von größter Wichtigkeit. Gerade die ärmere jüdische Bevölkerungsschicht lebt leider noch im Aberglauben. Das leiseste Gerücht, dass in New York ein Dibbuk umgehe, würde unter ihnen schreckliche Ängste schüren, die die öffentliche Ordnung bedrohen könnten …«
Sascha musste unabsichtlich ein Geräusch gemacht haben, aus dem sein Unmut sprach, denn Mendelsohn sprach nicht weiter und sah stirnrunzelnd zu ihm herüber, als habe er erst jetzt seine Anwesenheit bemerkt. Er musterte ihn, schien einen Abgleich zu machen, sah Saschas schwarze Locken, seine dunklen Augen und feinen Gesichtszüge und überlegte, in welche Schublade er ihn stecken sollte. Offenbar war das Ergebnis aber nicht eindeutig, vor allem im Zusammenhang mit einer Mitgliedschaft bei der New Yorker Polizei.
»Sie haben einen interessanten Charakterkopf, junger Mann«, resümierte er schließlich. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie ein schwarzhaariger Ire sind?«
Sascha hatte daheim vor dem Spiegel Wolfs undurchdringliches Lächeln geübt und gab jetzt sein Bestes. Das Ergebnis seiner Bemühungen war, das musste er zugeben, äußerst befriedigend.
»Ähem«, machte Mendelsohn. Und dann begann er seinen Vortrag über die Geschichte der Dibbuks in der rabbinischen Literatur. Er schien sich gut auszukennen und sprach flüssig und elegant. Nur hatte Sascha das Gefühl, dass er kein Wort von alledem glaubte.
Tatsächlich hatte Rabbi Mendelsohn eine merkwürdige Art, über Gott zu reden. Die Leute in der Hester Street behandelten Gott, als gehöre ER zur Familie. Man achtete IHN , wie man miesepetrige, immer unzufriedene Großeltern achtet. Man liebte IHN , aber man zeigte diese Liebe so, wie Eltern sie ihren Kindern gegenüber zeigen: Man klagte über SEIN Verhalten und zeigte auf SEINE Fehler und Unterlassungen, damit ER sich bloß nichts einbilde. Und man machte sich über IHN lustig – denn wozu ist Familie schließlich da?
Aber Rabbi Mendelsohn machte sich über Gott überhaupt nicht lustig. Sascha konnte sich nicht vorstellen, dass Rabbi Mendelsohn beim Pessachfest Scherze über die ägyptischen Plagen machte oder dass er zu
Chanukka
, wenn von den Wundern die Rede ist, die Gott an seinem Volk Israel vollbracht habe, plötzlich mit dem Ausruf »Und was hast du in letzter Zeit für uns getan?« alle zum Lachen brachte. Stattdessen schien Mendelsohn der Auffassung zu sein, es gehöre sich, Gott nicht einfach Gott, sondern »Unsern himmlischen Vater« zu nennen. Und dabei machte er ein angestrengt ernstes Gesicht, als leide er an Verstopfung.
»Es ist kaum begreiflich«, dozierte Mendelsohn weiter, »dass Menschen auch heute noch an so etwas glauben. Diese Geschichten von Dämonen und Dibbuks erfüllen aber eine wichtige soziale Funktion. Es braucht ein gewisses kulturelles Niveau, ehe sich die Leute von rückständigen Lebensweisen der Alten Welt lösen und anfangen, wie Amerikaner zu denken.«
Sascha wusste jetzt, was so seltsam an Mendelsohn war. Er redete von Gott, als glaube er nicht an IHN . Und zu seinem Erstaunen mochte Sascha das gar nicht. Es machte ihm nichts aus, wie Mordechai oder Beka oder Moische über Gott redeten. Sie glaubten alle nicht an IHN – und einer von ihnen glaubte nicht einmal an Brooklyn. Aber sie machten keinen Hehl daraus. Bei Rabbi Mendelsohn hingegen bestand eine Kluft zwischen dem, was er glaubte, und dem, was er sagte. Und wenn Sascha richtig verstanden hatte, glaubte er, dass Gott nur dazu taugte, rückständige arme Leute unter der Fuchtel zu
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