Der Seelenfänger (German Edition)
dürfen die ihm dann helfen?«
»Ich wollte …«
»Schon gut, schon gut. Wir kennen uns noch nicht lange, und du hast wohl keinen Grund, mir zu vertrauen. An welche Haltestelle hast du denn gedacht?«
»Äh …, hm …, Astral Place?«
»Das hier ist Astral Place.«
15 A Schande far die Gojim
An diesem Samstagmorgen huschte Sascha als einer der Letzten in die Synagoge in der Hester Street und setzte sich in die hinterste Reihe. Dort bekam man nichts mit, denn die alten Männer in der Versammlung gingen oft ein und aus und unterhielten sich ständig. Aber an diesem Morgen war er gerade wegen der schwatzhaften alten Männer gekommen und insbesondere wegen seines Großvaters.
Geduldig wartete er, bis alle Gebete gesprochen waren und nur noch die kleine Schar der Kabbalisten um Rabbi Kessler zurückblieb. Dann trottete er mit ihnen hinüber zur Schul in der Canal Street. Dort widmeten sie sich den drei Dingen, die Kabbalisten mit Vorliebe zu tun pflegten, oder die drei Dinge, mit denen sich nach Saschas Erfahrung die Pseudo-Kabbalisten der Hester Street ausschließlich beschäftigten: Erstens, den Kopf schütteln über die neuesten schlechten Nachrichten aus Russland; zweitens, klagen über die Jugend, die nur Mädchen und Baseball im Kopf habe und die Religion nicht mehr ernst nehme; drittens, auf rein theoretischem Niveau über die Möglichkeit diskutieren, wie ein Plan aussehen könnte, einen offenbar höchst unwilligen Messias zur Wiederkunft in den kommenden Jahrtausenden zu bewegen, damit ER den beklagenswerten Zustand der Welt behebe.
Es dauerte eine Weile, bis Sascha endlich für eine Minute mit seinem Großvater allein war, um ihn nach Edisons Dibbuk zu fragen. Nach reiflicher Überlegung hatte er sich entschlossen, eine weitgehend der Wahrheit entsprechende Version der Geschichte zu erzählen. Allerdings erwähnte er nicht das Medaillon seiner Mutter, und er verschwieg die beunruhigende Tatsache, dass ihm der Dibbuk vergangene Nacht bis nach Hause gefolgt war.
»Na, sieht das den
Gojim
nicht ähnlich?«, fragte Großvater Kessler, als Sascha seinen (fast) wahrheitsgetreuen Bericht abgeschlossen hatte. »Da ist dieser Thomas Edison, reich wie der Zar von Russland, mit allem gesegnet, was sich ein Mensch auf dieser Welt wünschen kann, und hat eine zwei Wochen dauernde Pechsträhne. Nu, was macht er? Er sucht nach einem
Jid
, dem er’s in die Schuhe schieben kann. Wir
Jidden
haben schon seit zweitausend Jahren Pech, aber wir nennen’s das
Jidden
-Glück, das erwählte Volk zu sein.«
»Ja, so ist das in New York«, meinte Mo Lehrer, der sich zu ihnen gesellt hatte. »Die ganze Stadt fällt auseinander, und die Polizei ermittelt, wie ein reicher
Goj
zu
Jidden
-Glück kommen konnte!«
Sascha lachte über den Witz und ertappte sich dabei, dass er ihn gern Lily erzählt hätte. Aber das würde er selbstverständlich nie tun. Gewiss hatte sich in Lily Astrals Familie noch nie jemand darüber beklagt,
Jidden
-Glück zu haben!
»Schön«, äußerte Sascha vorsichtig, »aber glaubst du, dass ein Rabbi den Dibbuk gerufen haben könnte?«
»Selbstverständlich könnte ein Rabbi so etwas«, erwiderte Großvater Kessler. »Jeder Rabbi, der diesen Titel verdient, kann einem Dibbuk befehlen zu erscheinen. Abgesehen von diesen neumodischen Rabbis aus den feinen Vierteln, die sich mit dem Kabbala-Studium nicht mehr abgeben und die ganze Zeit so tun, als wären sie Episkopalisten. Das Entscheidende jedoch ist, dass es ein Rabbi nie und nimmer tun würde.«
»Warum nicht? Weil Dibbuks böse sind?«
»Nein, Dummkopf! Weil Dibbuks nur mithilfe von Magie gerufen werden können!« Rabbi Kessler raufte sich vor Verzweiflung den Bart. »Hast du denn außer Baseballergebnissen gar nichts im Kopf? Erinnerst du dich nicht mehr, was du für deine Bar-Mizwa gelernt hast? Das Letzte, was ein Kabbalist tun würde, wäre zaubern. Denn es steht geschrieben: ›Sie können durch Magie auch nicht ein Haar bewahren.‹«
Seit Sascha sich erinnern konnte, hatte er dieses Sprichwort gehört – und zur gleichen Zeit beobachtet, wie die Hausfrauen in der Hester Street für alles Mögliche Magie anwendeten, nur nicht dafür, ein Haar, gleichviel auf wessen Kopf, zu bewahren. Bei der Gelegenheit fiel ihm ein, dass eines der beliebtesten
Rezepte von Mrs Lassky ihre
Mögen-Haare-hier-wachsen-Hamantaschen
waren.
»Aber warum dürfen Kabbalisten nicht zaubern?«, fragte Sascha. »Alle anderen tun es doch auch.«
»Weil die Kabbala
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