Der Seelenfänger (German Edition)
dem Ledersessel.
»Danke, Rabbi, Sie haben uns sehr geholfen.«
Wolf schien es plötzlich sehr eilig zu haben. Er packte Sascha und Lily an den Armen und zerrte die beiden fast durch die Synagoge und hinaus auf den Bürgersteig.
»Das ist doch lächerlich«, platzte Lily heraus, sobald sie wieder draußen waren. »J.P.Morgaunt kann nicht Edisons Dibbuk ins Leben gerufen haben! Warum sollte er seinen eigenen Geschäftspartner umbringen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Wolf schlicht. Und dann fragte er Sascha zu dessen größter Verlegenheit: »Gehört dieser Rabbi Kessler zu deiner Verwandtschaft, Sascha?«
»Ja, schon möglich …«
Wolf zog die Augenbrauen hoch.
»Ich habe eine große Familie. Er könnte ein entfernter Onkel sein. Ich müsste das zu Hause mal überprüfen.«
Jetzt sahen Wolf und Lily ihn an, als ob mit ihm etwas nicht stimmte.
»Gut, überprüf das«, sagte Wolf. »Und finde auch gleich seine Adresse heraus. Ich möchte mit ihm reden.«
17 Tee mit Mrs Astral
Wolf stand draußen vor Rabbi Mendelsohns Gotteshaus und schaute erstaunt die Straße hinauf und hinunter. »Na, so was!«, murmelte er. »Das ist aber wirklich seltsam!«
Sascha brauchte einen Moment, um zu begreifen, was Wolf so verwunderte. Tatsächlich war es das erste Mal, dass am Straßenrand keine Droschke auf sie wartete.
Wolf hielt noch einmal so genau nach rechts und links Ausschau, als könne sich eine Droschke hinter einem Baum oder in einem Kanalschacht versteckt halten.
»Na, dann vielleicht auf der Fifth Avenue?«, meinte er. Aber auch dort hatten sie kein Glück, obwohl sie ein paar Minuten warteten.
Wolf zückte seine ramponierte Taschenuhr und schaute auf das Ziffernblatt. »Ich muss wirklich zurück nach Hell’s Kitchen und beim Patentamt vorbeischauen, ehe sie schließen. Ich lasse euch beide hier und gehe zu Fuß durch den Park. Nehmt euch doch den Rest des Tages frei.«
Und damit verließ er sie eiligen Schrittes. Lily und Sascha schauten ihm wortlos nach.
»Kommst du von hier gut nach Hause?«, fragte Sascha Lily.
»Selbstverständlich, ich wohne doch gleich um die Ecke.«
»Ach ja«, sagte Sascha verlegen.
Lily wandte sich schon zum Gehen, zögerte dann aber und schaute Sascha mit einer Miene an, die deutlich zeigte, dass sie gleich einer lästigen, aber notwendigen Pflicht genügen musste. »Eigentlich sollte ich dich zu mir nach Hause zum Tee einladen«, nuschelte sie, als ob ihr die Worte gegen ihren Willen über die Lippen kamen. »Wenn du möchtest. Aber ich bin mir sicher, dass du was Besseres vorhast.«
Sascha spürte Wut in sich aufsteigen. Warum sprach sie eine Einladung aus, obwohl sie offensichtlich nicht wollte, dass er sie annahm? Und warum ließ sie ihn spüren, dass er nicht gut genug war, ihr Haus zu betreten? Schon wollte er höflich absagen, aber dann überlegte er es sich anders. Er wollte sie in Verlegenheit bringen. »Eigentlich«, sagte er, »klingt Tee ganz gut.«
Das Haus der Astrals war sogar noch luxuriöser als das des J.P. Morgaunt. Nicht dass Sascha viel Zeit gehabt hätte, sich alles anzuschauen. Lily schob ihn durch einen Nebeneingang und führte ihn eine knarrende Wendeltreppe hinauf, die augenscheinlich nur für Dienstboten gedacht war. Die Vorstellung, dass ihre Eltern ihn sehen könnten, machte ihr offenbar Angst. Sascha fühlte sich gedemütigt. Er fragte sich, was eigentlich dagegensprach, auf der Stelle umzukehren und das Haus wieder zu verlassen, wenn sich Lily schon so merkwürdig benahm.
Aber als er dann tatsächlich kehrtmachte, um die Treppe wieder hinunterzuhuschen, sah er sich auf einmal Mrs Astral gegenüber.
»Du musst Sascha Kessler sein«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, das Sascha das Gefühl gab, er sei der einzige Mensch auf der ganzen weiten Welt, der für Mrs Astral wirklich zählte. »Ich verstehe nicht, warum Lily mir nicht Bescheid gegeben hat, dass sie dich mit nach Hause bringt. Sie weiß doch, dass ich dich von Herzen gern kennenlernen möchte. Du hast doch hoffentlich Zeit, zum Tee zu bleiben?«
Sascha warf Lily einen Blick zu. Sie deutete ein Kopfschütteln an und formte mit dem Mund ein Nein.
»Oh danke«, sagte er zu Mrs Astral. »Gerne.«
Sascha nahm den Arm, den Mrs Astral ihm freundlicherweise anbot, und begleitete sie in einen weitläufigen Salon mit Zimmerpalmen, Marmorstatuen und ausladenden Möbeln. Lily trottete hinterher, ihr Gesicht spiegelte die blanke Verzweiflung eines Soldaten, der in eine von
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