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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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italienischer Art gekleidet. Aber nicht wie die reichen Italiener, die Gemüsegeschäfte in der Prince Street besaßen, und auch nicht wie die armen Italiener der Lumpensammlerhäuser. Nein, diese Kinder trugen die Tracht der Einwanderer, wie Sascha sie aus den von Ellis Island kommenden Booten hatte steigen sehen.
    Und sie waren auf dem Sprung. Sascha und Lily bemerkten, wie eine zerlumpt ausschauende Frau mit buntem Kopftuch plötzlich aus einem nicht einsehbaren Winkel der Dachlandschaft auftauchte, zwei Kinder bei der Hand nahm und sie unter lautem Schimpfen fortzerrte.
    »Ist das Italienisch?«, fragte Lily unsicher.
    »Ich glaube schon. Aber es klingt anders als das Italienisch, das ich kenne.«
    »Los, komm!«, rief Lily ihm über die Schulter zu und eilte schon weiter, ohne zu schauen, ob Sascha ihr überhaupt folgte. »Finden wir raus, wohin sie gehen!«
    Die Schlucht öffnete sich nun und gab den Blick frei auf ein Flachdach, das sich endlos in alle Richtungen auszubreiten schien. Es war kaum zu glauben, aber auf dem Dach von J.P.Morgaunts Stadtpalais stand eine Ansammlung von Hütten, in denen ein paar Dutzend Frauen und Kindern so selbstverständlich wohnten, als hätten sie ihre Bleibe auf der Erde und nicht in luftiger Höhe dreißig, vierzig Meter über der Straße aufgeschlagen.
    Besser gesagt, es war bis vor Kurzem ihre Bleibe gewesen, denn nun waren sie im Aufbruch, und zwar in aller Eile.
    »Spricht hier jemand englisch?«, rief Lily.
    Einige Frauen schauten sie an, die meisten aber packten weiter ihre Habe zusammen. Dann kam ein Junge, ein bisschen jünger als Sascha, schwarzhaarig und sonnengebräunt, auf sie zu. Er hatte gerötete Augen und seine Wangen zeigten die Spuren von Tränen. »Ich spreche englisch«, sagte er. »Was wollt ihr von uns?«
    »Wer seid ihr?«, fragte Sascha. »Was macht ihr hier oben? Und warum lauft ihr weg?«
    »Wir sind Steinmetzfamilien. Wir wohnen hier, jedenfalls bisher. Aber jetzt müssen wir gehen, denn unser Vater ist tot und die Polizei wird kommen.«
    Lily und Sascha sahen einander sprachlos an.
    »Das tut mir leid«, sagte Sascha schließlich. »War es der Dibbuk?«
    Der Junge erschauderte. »Wenn du ihn so nennst.«
    »Hast du ihn gesehen?«
    »Meine Mutter hat ihn gesehen. Sie sagt, es war ein Schatten in Gestalt eines Menschen. Sie sagt, er war aus Rauch und hatte Augen schwärzer als die des
Gesù Bambino

    »Dann muss sie gleich mit Inquisitor Wolf sprechen!«
    »Bist du verrückt? Was glaubst du, warum wir abhauen? Mit der Polizei reden ist das Letzte, was wir tun würden!«
    »Aber ihr müsst!«, mahnte Lily.
    Es war vergebene Liebesmüh. Auf keinen Fall würden diese Leute mit einem Inquisitor reden – und im Übrigen waren sie schon dabei, sich aus dem Staub zu machen.
    »Wie heißt du denn?«, wollte Lily wissen.
    »Antonio.«
    »Und wie weiter?«
    »Warum sollte ich ausgerechnet dir das sagen?«
    »Aber du kannst doch nicht einfach weglaufen!«, empörte sich Lily. »Die Polizei sucht den Mann, der deinen Vater umgebracht hat! Willst du denn nicht, dass er gefasst wird, damit er nicht weiter mordet?«
    »Der Polizei ist mein Vater doch völlig wurst und dir auch«, raunzte Antonio. »Und sein Mörder, um den braucht sich die Polizei keine Sorgen zu machen. Um den kümmere ich mich!«
    Plötzlich tauchte eine Frau hinter Antonio auf und zerrte ihn fort von Sascha und Lily. Sie war schmal und hatte den gleichen olivenfarbenen Teint wie Antonio und hätte für sehr schön gelten können, wenn ihr Haar nicht zerzaust und ihre Augen vom Weinen ganz geschwollen gewesen wären. Offensichtlich war sie Antonios Mutter und sie hatte schreckliche Angst.
    Während sie ihn wegzerrte, flüsterte sie ihm aufgeregt etwas ins Ohr. Antonio verstand wohl nicht gleich, aber dann warf er einen finsteren Blick auf Sascha und versuchte, sich loszumachen und auf ihn loszugehen. Aber zwei weitere Frauen waren herbeigekommen und halfen Antonios Mutter, ihn trotz seiner heftigen Gegenwehr wegzuziehen.
    Ehe Antonio hinter einem gotischen Türmchen verschwand, drehte er sich noch einmal um und schaute Sascha an.
    In Saschas ganzem bisherigen Leben hatte ihn noch nie jemand mit solch unverhohlenem Hass angeschaut.

25   Der einsame Cowboy
    Als sie wieder in die Bibliothek kamen, wurden sie schon von Wolf erwartet. Er war geladen.
    Nicht dass man das schon auf den ersten Blick gesehen hätte. Vielmehr stellte sich heraus, dass Wolf seinen Ärger auf die gleiche Weise zeigte

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