Der Seelenfänger (German Edition)
die Steinmetze.«
»Aus Italien, das sagte ich doch.«
»Aber das reicht nicht. Bitte etwas genauer!« Rosie machte dazu eine Geste, die Sascha bei den italienischen Gemüsehändlern gesehen hatte. Sie hob die Hand, Daumen und die übrigen Finger zusammengedrückt, und fuchtelte gerade vor seiner Nase herum, als wolle sie die Auskünfte aus der Luft schütteln. »Sag mir, ob er aus Neapel oder Palermo oder aus den Abruzzen kommt. Dann brauche ich keine halbe Stunde, um ihn für dich ausfindig zu machen. Aber Italien? Weiß du, wie viele Italiener es in Manhattan gibt?«
»Oh weh.« Sascha seufzte. »Woher sollen wir wissen, woher er stammt?«
»Keine Ahnung. Welche Sprache haben sie denn gesprochen?«
»Äh …, italienisch.«
Rosie verdrehte die Augen. Überraschenderweise sah sie dadurch Beka erstaunlich ähnlich.
»Was für ein Italienisch?«
»Gibt es da mehrere?«, fragte Lily ganz verblüfft.
»Moment mal«, sagte Sascha. »Er sagte irgendetwas Seltsames. Nicht dass ich mich mit den …, äh …« Er suchte eine Weile nach einem höflichen Ausdruck für
Gojim
, fand dann aber keinen. »Na jedenfalls sagte er, die Augen des Dibbuks seien schwärzer als
Gesù Bambino
. Ich dachte immer, das hieße ›Jesuskind‹. Aber das ist wirklich das erste Mal, dass jemand behauptet hat, Jesus sei schwarz.«
Plötzlich sprang Rosie auf und fiel Sascha um den Hals. »Sascha«, rief sie, »du bist ein Genie!«
»Meinst du das im Ernst?«
»Das sind nicht einfach Steinmetze – das sind sizilianische Steinmetze. Aus Tindari. Dafür verwette ich meine Seligkeit nach dem Tode. Und ich weiß auch genau, wohin sie gehen werden, wenn sie einen Ort suchen, wo sie vor der Polizei sicher sind.«
Auf dem Weg zur 12 th Street erklärte Rosie ihnen, wie sie die Antwort auf die Frage nach der Herkunft gefunden hatte. Freilich überschlug sie sich bei ihren Reden, sodass Sascha am Ende genauso konfus war wie zu Beginn.
»Die Sache ist nämlich die. Wenn einer sagt, jemand sei
nero come il bambino Gesù
, dann muss er eine Schwarze Madonna gesehen haben. Und die einzige Schwarze Madonna, von der ich gehört habe, ist die Madonna von Tindari. Und das weiß ich wegen dem Patronatsfest, das sie alljährlich in der 12 th Street feiern. Oh, schaut mal. Bei Vesuvio’s gibt’s ofenfrische Pizza. Wollt ihr ein Stück?«
»Das ist Pizza?«, fragte Lily. »Toll. Ja, wenn du sowieso eine besorgst …«
»Und du, Sascha? Keine Sorge, die Pizza ist koscher!«
»Tatsächlich?«, fragte Sascha mit Appetit.
»Aber sicher«, erwiderte Rosie und lachte. »Wie Wan-Tan-Suppe.«
»Wan-Tan-Suppe? Wer hat dir das gesagt? Der Freund deiner Cousine?« Sascha fragte sich langsam, wie es der Bursche mit der Religion hielt.
»Ist doch bloß ein Witz«, sagte Rosie. »Du weißt doch: Warum ist Wan-Tan-Suppe koscher? Kennst du den nicht? Los, frag mich!«
»Na gut. Warum ist Wan-Tan-Suppe koscher?«
»Weil’s chinesisch ist, du Dummkopf!«
»Oh«, sagte Sascha enttäuscht. Die Pizza hatte ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.
»Also«, fuhr Rosie fort, nachdem sie mit ihrem Pizzastück fertig war, »die Sizilianer veranstalteten jedes Jahr ihre Prozession in der 12 th Street. Ihr wisst schon, die Madonna vom Sockel holen, ihr einen prächtigen Fummel anziehen und sie durch die Straße tragen. War immer was los. Ich bin jedes Jahr hingegangen, weil es dort den besten frittierten Tintenfisch in der ganzen Stadt gibt.«
»Frittierten Tintenfisch?«, sagte Lily höchst interessiert. »Wann ist denn die nächste Prozession?«
»Leider haben die Inspektoren vom Gesundheitsamt die Straßenprozession aus hygienischen Gründen verboten. Wahrscheinlich hat sich jemand über den Tintenfisch beschwert.«
»Die Leute sind blöd.« Lily seufzte.
»Wem sagst du das«, schloss sich Rosie an. »Der Tintenfisch war wirklich gut!«
Sascha verdrehte die Augen. Er brauchte die beiden Mädchen jetzt nur mit seiner Mutter zusammenbringen, dann könnte jeder Gesundheitsinspektor seine Koffer packen und aus der Stadt verschwinden.
»Tja«, fuhr Rosie fort, »nach dem Verbot des Straßenfestes hat sich die sizilianische Bruderschaft der Steinmetze entschlossen, eine Kapelle für die Schwarze Madonna einzurichten, wenn jemand genügend Platz zur Verfügung stellen würde. Und wer sprang ein? Mister Rotella, der Besitzer der Leichenhalle in der 12 th Street. Er stellte das ganze Kellergeschoss zur Verfügung – ausgenommen des Teils, wo die Leichen
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