Der Seelenfänger (German Edition)
Geschichte mit J.P.Morgaunt durch die Presse ging«, flüsterte Lily. Sascha glaubte eine leise Genugtuung in Lilys Stimme herauszuhören, aber er hütete sich, das zu sagen.
»Und weswegen wollt ihr Kinder Rosalind sprechen?«, fragte Mrs DiMaggio. Ihr Blick wanderte zwischen ihnen hin und her, als könne sie sich nicht entschließen, ob sie nun Sascha verscheuchen oder Lily hereinbitten sollte.
»Oh«, antwortete Lily mit peinlichem Gekicher. »Ich bin nur vorbeigekommen, um sie zu meiner Geburtstagsparty einzuladen. Wären Sie denn einverstanden?«
Mrs DiMaggio sah Lily an. »Wie war doch gleich dein Name, mein Kind?«
»Lily As–.« Sascha versetzte ihr einen Rippenstoß. »Aua! Äh, Lily Asbury.«
Mrs DiMaggio zögerte noch. Sie hatte zuerst Sascha gemustert und abgehakt, aber Lilys gewählte Ausdrucksweise und ihre teure Kleidung verwirrten sie offenbar.
»Ach bitte, erlauben Sie es ihr doch«, quengelte Lily mit geziertem Augenaufschlag. »Es wird bestimmt lustig. Zuerst gibt es Ponyreiten, und dann, dann gibt’s Tee!«
Sascha war drauf und dran, sich zu übergeben. Mrs DiMaggio dagegen war hingerissen. »Ach, du gutes, gutes Kind!«, schmeichelte die tonnenschwere Frau. Dann machte sie eine auffordernde Geste zur Treppe hin. »Warum geht ihr nicht hinauf und bringt ihr die Einladung persönlich?«
»Danke, Mrs DiMaggio!«, jauchzte Lily mit einem honigsüßen Lächeln auf den Lippen. »Danke, danke, danke! Sie sind ja so lieb!«
»Im Schleimen bist du beängstigend gut!«, stichelte Sascha, sobald sie außer Hörweite von Mrs DiMaggio waren. »Ich glaube, wenn du dich ein bisschen bemühst, könntest du es schaffen, dich für ein normales Mädchen auszugeben.«
»Gott bewahre! Aber wie finden wir jetzt Rosies Zimmer, ohne lange herumzuirren und Mrs D misstrauisch zu machen? Die kommt sonst hochgewackelt und schaut nach, ob wir ihre Badetücher stehlen.«
Jetzt, da Sascha das Haus von innen sah, wunderte er sich nicht mehr über die Größe. Die DiMaggios betrieben eine Fremdenpension. Eine der Türen in dem langen Flur musste in Rosies Zimmer führen, aber alle anderen gehörten zu Gästezimmern. Gewiss hätte sich Lily nicht geniert, in das Zimmer fremder Leute hineinzuplatzen. Und hätte sie dabei einen armen Burschen im schmutzigen Unterhemd überrascht, hätte sie ihm Ratschläge gegeben, wie er sein Feinripp zu waschen habe.
Rosie selbst half ihnen aus der Verlegenheit. Sie steckte den Kopf aus der Tür am Ende des Flurs und begrüßte sie, als wären sie immer schon dicke Freunde gewesen. Und auch als die beiden in ihrem Zimmer standen und ihre Mutter bestimmt nichts mehr hören konnte, zeigte sich Rosie hocherfreut.
»Na, wie läuft’s denn bei der Gespensterjagd?«, fragte sie, ohne vom Kaugummikauen zu lassen. Der Kaugummi, den sie jetzt im Mund hatte, war mindestens so groß wie der beim ersten Besuch in Coney Island, aber nicht limettengrün, sondern blau.
»Die Arbeit in der Inquisitionsabteilung ist sehr spannend«, vermeldete Lily. »Wir sind hier, um dich um deine Hilfe in einem Vermisstenfall zu bitten.«
»Einem was?«
»Einem Vermisstenfall. Leute, deren Aufenthaltsort …«
»Ja, ich habe verstanden«, unterbrach Rosie sie, »ich weiß nur nicht, warum ihr gerade mich um Hilfe bittet.«
»Ja, also es ist so«, begann Lily – und dann tischte sie die komplizierteste und unglaubwürdigste Lügengeschichte auf, die Sascha jemals gehört hatte. Es ging um saumselige Beamte, vermisste Waisenkinder und königliche Belohnungen. Das Ganze klang, als hätte sie es geradewegs einer schlechten Illustriertengeschichte entnommen – und wenn Saschas Gedächtnis ihn nicht trog, dann war das auch wirklich der Fall. Selbst sein verschlagener Onkel Mordechai hätte eine solch vertrackte Geschichte nicht verkaufen können. Und Lily war nicht Onkel Mordechai.
Am Ende schritt Sascha ein, um zu retten, was zu retten war.
»Schön, hier kommt die Wahrheit«, sagte er zu Rosie. »Der Dibbuk hat heute Morgen einen italienischen Steinmetz in J.P.Morgaunts Haus getötet. Wir haben seinen Sohn kennengelernt …«
»Sascha!«
»Sei still, Lily. Du solltest niemals lügen, du kannst das einfach nicht. Also, wie ich schon sagte, Rosie, wir kennen den Sohn des toten Steinmetzen und eine Schar anderer Kinder, die dort oben auf dem Dach wohnten. Leider sind sie davongerannt, ehe wir sie befragen konnten. Deshalb müssen wir sie unbedingt wiederfinden.«
»Und woher kommen sie?«
»Wer?«
»Na,
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