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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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hören, was als Nächstes kam. Zögernd legte er eine Hand auf die Türklinke. Er fragte sich, was dort draußen geschah, wagte aber nicht, gegen Wolfs Verbot zu verstoßen. »Ich wüsste zu gern, was die da draußen machen.«
    »Warte!«, sagte Lily. »Ich habe eine Idee!«
    Und ehe Sascha sie zurückhalten konnte, lief sie schon quer durch die Bibliothek, erklomm die Wendeltreppe und trappelte den schmiedeeisernen Balkon entlang bis zu der mit Rollen versehenen Bibliotheksleiter. Dort angekommen, sprang sie energisch auf die nächste Leiter.
    Als Sascha die Leiter erreichte, war Lily schon hoch über seinem Kopf.
    »Wolf hat uns nicht verboten, aus dem Fenster zu schauen!«, rief sie ihm triumphierend zu.
    Auch Sascha machte sich an den Aufstieg. Die Leiter war steil und schmal und bei jedem Tritt quietschten die Metallrollen. Morgaunt hielt sich wahrscheinlich einen Diener, der jeden Morgen nichts anderes zu tun hatte, als diese Rollen zu ölen. Wenn der morgen mit Ölkännchen und Putzlumpen zur Arbeit antrat, würde er die Unordnung sehen, die zwei Kinder auf den Bücherregalen angerichtet hatten.
    »Kannst du von oben etwas erkennen?«, fragte er Lily.
    »Das ist alles getöntes Glas! Aber ich glaube, dass keiner merkt, wenn ich da etwas herausbreche.«
    »Bis du dir da sicher …«
    »Mann, Sascha! Seit wann bist du so zimperlich? Gib mir dein Taschentuch!«
    Er reichte es ihr. Einen Augenblick später machte es krack!, und dann folgte das Geräusch von klirrendem Glas.
    »Verflixt!«, sagte Lily. »Außer Häuserdächern gibt’s da gar nichts zu sehen. Wir haben kein Glück, es sei denn, der Dibbuk will Tauben jagen.«
    »Lily, ich höre Schritte. Vielleicht sollten wir doch wieder runter.«
    »In einer Minute.« Wieder klirrte Glas. »Darf ich auf deine Schultern steigen? Dann schaffe ich es, glaube ich …«
    Ehe Sascha protestieren konnte, hatte sie weitere getönte Glasscheiben herausgebrochen und sich bis zur Taille aus dem Fenster gestemmt.
    »Wolf hat gesagt, wir sollen in der Bibliothek bleiben!«
    »Das bin ich doch«, beharrte Lily, »wenigstens zum größten Teil.«
    Dann ließ sie ein kurzes »Huch!« vernehmen – und ihre Beine und Füße verschwanden, als hätte jemand sie unter den Achseln ergriffen und nach draußen gezogen.
    In weniger als einer Sekunde war Sascha die letzten Sprossen der Leiter emporgestiegen – doch diese Sekunde kam ihm schrecklich lang vor.
    Als er nach draußen schaute, sah er zuerst nur den weiten Himmel. Das gewölbte Dach der Bibliothek überragte den Rest des Gebäudes wie die Steuerbrücke den Rumpf eines mächtigen Schiffes. Von hier oben sah man erst, wie groß J.P.Morgaunts Stadtpalais war. Das Dach dehnte sich nach allen Seiten hin aus, faltete sich zu Erhebungen auf oder bildete steile Grate. Man glaubte, ein Gebirge vor sich zu haben, in dem wie in alten Legenden Reisende unfehlbar Opfer von Überfällen wurden. Und wie in einem echten Gebirge schien es auch hier etliche enge, nur schwer erkennbare Schluchten zu geben.
    Eine solche Schlucht weckte nun Saschas Aufmerksamkeit. Zwar sah er sie nicht, aber er hörte deutlich Lilys Stimme aus der Tiefe hervordringen.
    »Und ihr wohnt hier?«, fragte sie gerade. »Ihr glaubt gar nicht, wie neidisch ich bin. Ich habe immer davon geträumt, von zu Hause wegzulaufen und bei einer Zigeunerbande hoch oben auf den Dächern zu kampieren! Ihr müsst eine herrliche Zeit hier oben verbringen!«
    Sascha wand sich aus dem eingeschlagenen Fenster und kletterte vorsichtig das abschüssige Dach hinunter, bis er Lily entdeckte. Sie schien sich sichtlich wohlzufühlen. Wie ein Pirat stand sie auf dem Dach, als wolle sie im nächsten Augenblick ein feindliches Schiff entern. Der abgebrochene Besenstiel, den sie wie ein Schwert in einer Hand hielt, trug nicht wenig zu diesem Eindruck bei.
    »Was willst du mit dem Stock?«, fragte Sascha sie als Erstes.
    »Ach, als sie mich aus dem Fenster gezogen haben, dachte ich daran, sie zu versohlen. Aber es sind ja nur Kinder.« Ein mutwilliger Ton schlich sich in ihre Stimme. »Außerdem brechen sie ihre Zelte ab.«
    Erst jetzt sah Sascha die kleine Kinderschar, die unten am Grund der Schlucht stand und zu ihnen heraufschaute.
    Lily hatte recht, es waren nur Kinder. Das älteste mochte acht oder neun Jahre alt sein. Die meisten waren, selbst im Vergleich mit Kindern aus der Hester Street, klein für ihr Alter. Sie hatten einen olivenfarbenen Teint, schwarze Haare, dunkle Augen und waren nach

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