Der Seelenfänger (German Edition)
Mrs Worley deine Seele nicht finden …«
»Das ist lächerlich! Sie sagte doch selbst, dass ihr Seelenfänger nur ein Spielzeug ist!«
»Und dann wird Antonios Vater umgebracht, während du in J.P.Morgaunts Haus warst. Wahrscheinlich ist der Dibbuk dir dorthin gefolgt!«
»Ich gehe!«, rief er. »Das höre ich mir nicht länger an!«
»Weil du mir nicht glaubst?«, stichelte Lily. »Oder weil du es dir selbst nicht eingestehen willst?«
Sascha starrte sie vor Wut bebend an – und dabei wusste er, dass sie hundertprozentig recht hatte.
»Na schön, Fräulein Neunmalklug«, bellte er. Aber er musste gleichzeitig den Gedanken an das gestohlene Medaillon seiner Mutter verdrängen, ebenso wie das schreckliche Bild des Dibbukgesichtes, das er flüchtig wahrgenommen hatte und an das er seit Tagen nicht mehr denken wollte. »Dann beantworte mir doch folgende Frage: Wenn das mein Dibbuk ist, warum hat er es immer wieder auf Thomas Edison abgesehen?«
Lily ließ die Schultern sinken. »Das weiß ich nicht. Aber Mrs Worley sagte …«
»Sie sagte, dass J.P.Morgaunt mit dem Ätherographen keinen Dibbuk heraufbeschwören konnte. Und selbst wenn ihm das gelungen wäre, wie hätte er meinen Dibbuk machen können, ohne vorher je meine Seele aufgenommen zu haben?«
»Bist du dir da so sicher?«, fragte Lily mit zweifelndem Unterton.
»Natürlich!«, erwiderte Sascha. Aber dann kamen ihm selbst Zweifel. »Moment mal. Erinnerst du dich an die Tests, die man mit uns gemacht hat, ehe wir als Lehrlinge angestellt wurden? Erinnerst du dich, wir mussten in einem dunklen Zimmer sitzen und sollten zaubern. Da hätte man eine Aufnahme machen können.« Er hielt inne. »Warum schaust du mich so an?«
»Mit mir hat man keine Tests veranstaltet außer dem normalen IQ -Test, den jeder machen muss.«
Sie schlug die Augen nieder und errötete leicht, als ob die Frage, die sie ihm stellen wollte, zu persönlich wäre. »Sascha, diese Tonkonserve, die J.P.Morgaunt uns vorgespielt hat. Das warst du, oder?«
Und dann sah sie ihn an. Dieser Blick ging ihm wie ein Messer durch die Rippen und traf ihn direkt ins Herz. Schon die bloße Vorstellung, dass Lily Astral ihn einmal so prüfend ansehen würde, hätte er gehasst.
Denk nicht, du kenntest mich, nur weil du diese dumme Aufnahme gehört hast,
hätte er ihr am liebsten entgegengeschmettert. Aber er merkte, dass er ihr das nicht sagen konnte, weil er im Stillen ahnte, dass sie recht hatte.
»Du irrst dich«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Du liegst völlig falsch und ich werde es beweisen.«
»Wie denn?«
Es klang wie eine Herausforderung. Oder Sascha wollte eine Herausforderung darin erkennen. Etwas in ihm begriff, dass es unsinnig war, sich der Einsicht weiter zu verschließen. Aber es war leichter, wütend zu sein, als einsichtig. Alles war leichter, als zuzugeben, dass Lily recht hatte.
»Indem ich selber den Dibbuk herbeirufe!«
26 Auf schrecklichen Vogelfüßen
Die Dämmerung setzte an diesem grauen Herbstabend schon früh ein. Zitternd vor Kälte stand Sascha im Schatten der Häuser gegenüber von Großvater Kesslers
Schul
.
Er hatte vorher schon zwei Stunden in einer Ecke des Café
Metropol gesessen und bei einem Kaffee, den er sich eigentlich nicht leisten konnte, einen ganzen Stapel praktischer Kabbalaschriften durchgeackert. Die Bücher stammten aus der Privatbibliothek seines Großvaters. Rabbi Kessler lehnte die praktische Kabbala so entschieden ab, dass er diese Bücher nicht einmal seinen Talmudschülern geben wollte. Stattdessen standen sie auf dem obersten staubigen Regal des einzigen Wandschranks der Kesslers, wo sie sicher vor dem Zugriff des unbesonnenen, ehrgeizigen Kabbalistennachwuchses waren.
Sascha hatte ein Mordsglück gehabt, an die Bücher zu gelangen. Oder vielleicht war es auch kein so großes Glück. Den Dibbuk herbeizurufen war ihm bei Tage noch als eine gute Idee erschienen. Doch nun, da die Nacht über die Stadt hereinbrach und die Straßenlaternen ihr spärliches Licht verbreiteten, kam Sascha das Ganze wie eine sehr schlechte Idee vor.
Er vergrub sich noch tiefer in seinem Mantel und bemühte sich, nicht daran zu denken, was noch alles in den tiefen Schatten neben ihm verborgen sein könnte. Es kam ihm komisch vor, Großvater Kesslers
Schul
aus der Entfernung zu beobachten, statt mit den anderen drinnen zu sitzen. Nie zuvor hatte er wie ein Fremder von außen zugeschaut. Von hier aus besehen wirkten die Räume heruntergekommen,
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