Der Seelenfänger
weniger unausgewogen gewesen.«
»Was meinen Sie mit >unausgewogen<, Dr. Sorensen?«
»Ich denke an den Schock, den die weißen Zuschauer empfunden haben müssen, als ihnen plötzlich in dieser bekannten, seit Jahren vertrauten Sendung ein schwarzer Geistlicher präsentiert wurde.«
Preacher nickte. »Ich verstehe. Und was meinen Sie, Dr. Ry-ker?«
Dr. Rykers Tonfall war akademisch gepflegt. Man spürte sofort, daß er jahrelang in einem theologischen Seminar gearbeitet hatte. »Der sogenannte Kulturschock ist seit Jahren ein Zentralproblem der wissenschaftlichen Forschung in unserem Land«, sagte er. »Auch die theologischen Fakultäten beschäftigen sich schon seit langem damit. Diese Sendung heute morgen war ein klassischer Fall: der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen
Platz. Von einem vorwiegend weißen Zuschauerkreis zu verlangen, daß er sich das Wort Gottes, der den Menschen nach seinem Bilde schuf, aus dem Munde eines schwarzen Predigers anhört, ist eine nicht unbeträchtliche Zumutung, widerspricht sie doch dem Bild, das der weiße Zuschauer von sich selbst hat und jeden Morgen im Spiegel sieht.«
»Umgekehrt ist es kein Problem?« fragte Preacher beiläufig.
»Nein«, sagte Ryker. »Diese Rollenverteilung sind die Leute gewohnt. Das hat eine jahrhundertealte Tradition.«
»Deshalb muß sie aber noch lange nicht richtig sein«, sagte Preacher. »In der Heiligen Schrift steht, Gott habe den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, aber nirgendwo heißt es, daß dieser Mensch weiß, schwarz, braun oder gelb war.«
»Aber Dr. Talbot«, warf Sorensen ein, »hier geht es doch nicht um theologische, sondern um praktische Fragen. Es ist nun mal eine Tatsache, daß wir eine Menge Kollektengelder verlieren, wenn wir die weißen Zuschauer verprellen.«
Preacher lächelte trocken. »Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Dr. Sorensen, daß Sie sich hier in einer religiösen Gemeinschaft und nicht an der Managementschule in Harvard befinden? Wir interessieren uns nicht für Profitmaximierung, sondern bemühen uns, Menschen zu Christus zu führen.«
»Du weißt doch selbst, wie schwierig es ohne Geldmittel ist, jene Seelen zu erreichen, die besonders dringend der Rettung bedürfen«, sagte Randle. »Also tu nicht so, als brauchtest du keine Kollekten.«
Preacher schüttelte den Kopf. »Meine Herren, ich bitte Sie. Mehr als siebzig Prozent unserer Tochtergemeinden sind schwarze Gemeinden, und ich glaube einfach nicht, daß sich der Wert einer Seele nach der Hautfarbe richtet. Solange die Schwarzen zur Gottesgemeinde gehören, müssen sie auch bei den Predigern repräsentiert werden.«
»Wenn du diesen Leuten den kleinen Finger reichst«, sagte
Randle, »dann reißen die dir den Arm aus. Die übernehmen die ganze Gemeinde. Du weißt doch, wie die sind. Wenn man ihnen auch nur ein Haus in einer Straße verkauft, wimmelt bald das ganze Viertel von ihnen. Richard Craig und Helen Lacey haben jetzt schon erklärt, sie könnten uns nicht mehr unterstützen, wenn so etwas noch einmal vorkommt. Und wenn wir die Gesellschaft für ein Besseres Amerika und den Christlichen Frauenrat nicht mehr haben, verlieren wir zwei Millionen weiße Amerikaner. Diese Leute sind das Rückgrat der konservativen christlichen Mehrheit. Sie werden es auf keinen Fall akzeptieren, daß man ihnen Nig -, Schwarze auf die Kirchenbank setzt.«
»Dann sollten wir mit diesem nutzlosen Streit keine Zeit mehr vertrödeln«, sagte Preacher entschlossen. »Wir haben genügend andere Dinge zu tun. Eine der wichtigsten Aufgaben für unseren Kreuzzug am Labor Day wird darin bestehen, jedem Christen zu zeigen, daß alle Menschen von Gott geliebt werden, ganz gleich, welche Farbe sie haben.«
»Du erwartest doch wohl kaum«, zischte Randle empört, »daß ich dabei mitmache, oder?«
»Lehnen Sie nicht gleich ab, Mr. Randle«, bat Preacher.
»Bei diesem Kreuzzug können wir an einem einzigen Tag Millionen Seelen für Christus gewinnen. Und gleichzeitig haben wir Gelegenheit, bis zu fünfzig Millionen Dollar für unsere Kirche zu sammeln.«
Randle starrte ihn ungläubig an. »Davon war bisher noch gar nicht die Rede. Das mußt du uns näher erklären.«
»Das ist doch ganz einfach«, lächelte Preacher. »Wenn bei einem einzigen Kampf der Schwergewichts-Weltmeisterschaft fünfundzwanzig Millionen umgesetzt werden, dann sollte ein Schwergewichtskampf zwischen dem Teufel und Gott doch zumindest das Doppelte bringen!«
Randle gab keine Antwort,
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