Der Seelenhändler
angelangt und begannen, langsam nebeneinander die breiten Stufen hinunterzusteigen.
„Es gibt noch etwas, das ich Euch sagen muss, Wolf … Etwas, das mich, als ich es sah, außerordentlich verblüffte … Um nicht zu sagen: entsetzte“, fuhr die Klingfurtherin fort. Sie hielt mitten im Hinuntergehen inne.
„So?“, fragte Wolf und blieb ebenfalls stehen.
„Als ich … als ich Bertram den Verband anlegte …“, fuhr sie zögernd fort, „da … da bat er mich, auch einmal nach der Ferse seines rechten Fußes zu sehen; er habe sich wohl einen Dorn eingetreten. Ich tat es .… Und wisst Ihr … was ich sah?“
Langsam nickte Wolf mit dem Kopf. „Ich denke, ich weiß es“, erwiderte er leise. „Ihr saht das Mal. Ein herzförmiges Feuermal an der Unterseite der rechten großen Zehe, – nicht wahr?“
Mit offenem Mund starrte sie ihn an.
„Ihr … Ihr wisst es …?“, flüsterte sie fassungslos.
Wieder nickte er. „Ja. Allerdings erst seit vorgestern. – Aber kommt, gehen wir hinab. Ich habe Euch einiges zu erzählen.“
Während sie langsam die Treppe hinuntergingen, schilderte Wolf die Ereignisse des vorgestrigen Tages und sein Zusammentreffen mit Mercedes. Schweigend und konzentriert hörte ihm die Klingfurtherin zu. Als er mit seinem Bericht zu Ende war, spiegelte sich Betroffenheit in ihrer Miene.
Nach einer guten Weile – sie waren mittlerweile in den Hof getreten – hob sie den Blick und sah ihn an.
„Der Schuss auf Bertram war also tatsächlich kein Zufall. Dass er fehlging, haben wir wahrscheinlich nur einem glücklichen Umstand zu verdanken. Er ist ein Beweis dafür, dass der „Eber“ nun den Richtigen ins Visier genommen hat, nicht wahr?“ Ihre Stimme verriet tiefe Sorge.
„Und ein Beweis dafür, dass er bestens informiert ist und über einen hervorragend arbeitenden Spitzel verfügt. Wie sonst hätte er wissen können, wo sich der, den er so fieberhaft sucht, aufhält? Und vor allem, wer von den Schülern in der äußeren Schule Bertram ist“, bestätigte Wolf ihren Gedankengang.
„Das heißt: Wenn wir diese Person zu fassen bekämen, könnte sie uns zum „Eber“ führen?“
„Ja, wenn! Doch bis zur Stunde wissen wir über den „Eber“ mehr als über seinen Spitzel“, antwortete Wolf sarkastisch und fuhr fort: „Wir müssen also sehr vorsichtig sein. Am besten ist es, der Junge bleibt vorerst hinter den Klostermauern.“
„Das wäre wohl das Sinnvollste“, stimmte die Klingfurtherin zu, „doch wie bringen wir ihm das nur bei, ohne ihn zu ängstigen? Und vor allem, ohne ihm bereits jetzt die Umstände seiner dubiosen Herkunft aufzudecken. Er wird ganz schön schockiert sein, wenn er erfährt, dass Arnulf und Agnes nicht seine wirklichen Eltern sind.“
„Das ist es ja. Der Junge wird es erfahren müssen. Aber nicht jetzt und vor allem nicht heute. Erst, wenn wir selbst mehr darüber wissen. Außerdem braucht es Zeit und Ruhe und auch die richtige Umgebung, ihm die Umstände seiner Herkunft schonend beizubringen. Allerdings sollten wir ihm sagen, dass er, solange ihm Gefahr droht, das Kloster nicht verlassen darf.“
„Wie, glaubt Ihr, wird er es auffassen?“, fragte Katharina.
„Nun, Ihr wisst: Bertram ist alles andere als ein Angsthase. Natürlich wird er einen gehörigen Schrecken bekommen. Aber er wird sicher vernünftig sein. Vor allem müssen wir ihm sagen, dass er mit niemandem über die Gefahr, in der er schwebt, sprechen soll. Allerdings werden wir seinen Lehrer, Bruder Vitus, und auch den Prior informieren.“
Die Klingfurtherin überlegte eine Weile. „Wahrscheinlich ist es so das Beste“, stimmte sie dann zu. „Wann werden wir mit ihm sprechen?“
„Noch heute. Am besten gleich nachher.“
20
Früh, viel zu früh war der Mann erwacht und hatte den Fensterladen aufgestoßen.
Diffuses Licht und kühle Luft drangen in seine Kammer. Tief at-mete er durch. Die hereinströmende Frische belebte ihn. Das war auch bitter nötig, denn er hatte eine unruhige Nacht verbracht und fühlte sich wie gerädert. Über Stunden hinweg hatte er sich schlaflos auf seinem Lager hin und her gewälzt und über die Geschehnisse der letzten Tage nachgegrübelt. Dabei war ihm die Gefährlichkeit seiner Lage zum ersten Mal richtig bewusst geworden. Es wurde allmählich höchste Zeit, zu verschwinden. Doch noch musste er ausharren. Morgen Nacht würde er neue Anweisungen empfangen. Danach würden weitere vier Tage bis Sankt Bartholomä vergehen. An diesem Tag, einem
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