Der Seelenhändler
mich ruft?“, entgegnete Rupert. Ein selbstgefälliges Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
„Ja, das stimmt. Pünktlich bist du schon immer gewesen. Zumindest diese Eigenschaft gereicht dir zur Ehre“, bemerkte der Prior ironisch.
Rupert merkte auf. „Wie meint Ihr das, hochwürdiger Prior? Gibt es etwas, was ich nicht zu Eurer Zufriedenheit erledigt habe?“
Der Rotgekleidete antwortete nicht sogleich. Stattdessen begann er, langsam auf Rupert zuzugehen. Unmittelbar vor ihm blieb er stehen.
„Hast du die Ringe?“, fragte er, seine Frage ignorierend.
Rupert sah ihn argwöhnisch an. Obwohl er das Angesicht des „Priors“ niemals erblickt hatte, hatte er im Laufe der Zeit dennoch ein feines Gespür im Umgang mit ihm entwickeln können. Und irgendetwas lag in Stimme und Gebaren des Roten, das ihn zur Vorsicht mahnte.
„Aber ja“, entgegnete er hastig. Er griff in seinen Umhang und zog einen Beutel hervor. „Hier sind sie.“
Der Mönch nahm den Beutel entgegen und ließ ihn unter der roten Kutte verschwinden. Schweigend musterte er Rupert durch die Schlitze des Tuches hindurch, das sein Gesicht noch immer verbarg.
In diesem Moment begann Rupert konkret Gefahr zu wittern. Er beschloss, auf der Hut zu sein.
„Nun? Habt Ihr noch weitere Anweisungen für mich?“, fragte er, wobei er versuchte, einen möglichst unbefangenen Anschein zu erwecken.
„Ja“, antwortete der Mönch knapp.
„Ich nehme an, sie betreffen den Boten aus Venedig. Ich soll ihn ja zusammen mit Matthis an Sankt Bartholomä um Sext herum in der Schenke ,Zum Bären‘ treffen. Um ihn am Tag darauf in die Windischgarstener Berge zu bringen, hinauf in den Horst, nicht wahr?“
„Nein, du irrst. Du wirst nicht dorthin gehen.“
„Nicht? Ich soll ihn nicht dorthin begleiten?“
„Nein, der rote Peter, Matthis und Heiner werden das erledigen.“
„So? – Und was ist mit der Versammlung? Am Tag nach Bartholomä, um Mitternacht? Wird sie denn nicht stattfinden? Es sollten doch alle kommen. Es hieß, sogar der Gebieter selbst würde diesmal mit dabei sein.“ In Ruperts Stimme schwang grenzenlose Verwunderung mit. Das Gefühl der Bedrohung verdichtete sich zusehends in ihm.
„Natürlich wird sie wie vorgesehen um Mitternacht im Horst unseres Ordens stattfinden“, antwortete der Mönch in aller Ruhe. „Und es werden alle dabei sein, so wie geplant. Auch der Gebieter wird kommen. Nur du – du wirst diesmal nicht dabei sein. Was dich angeht, haben wir unseren Plan geändert – der Gebieter und ich.“
„Ihr … Ihr habt Euren … Plan geändert? … Dann … dann habt Ihr sicher … andere Anweisungen für mich?“
„Ja, völlig andere. Du wirst auf die Reise gehen“, entgegnete der Mönch höhnisch.
„Auf die Reise? Ihr schickt mich auf eine Reise? Wohin?“
„An den Ort, von dem niemand wiederkehrt“, sagte der Mönch dumpf. Im gleichen Augenblick fuhr seine Rechte unter das Skapulier und danach an den Hals seines Gegenübers – ein Dolch blitzte auf.
Entsetzt schielte Rupert auf den blanken Stahl an seiner Kehle, auf dem sich der Schein des Feuers spiegelte. Schweiß trat ihm auf die Stirn.
„Ihr … Ihr scherzt, Herr. Warum solltet Ihr mich dorthin schicken? … Ich habe dem Orden immer redlich gedient.“
„Redlich gedient? Dass ich nicht lache. Du begehst gravierende Fehler und beschließt dann auch noch, dich dem Orden zu entziehen – nennst du das etwa redlichen Dienst?“
Rupert begriff. Die verlorene Gürteltasche und die Stiefel. Sie mussten Wind davon bekommen haben. Außerdem hatten sie seinen Plan, sich absetzen zu wollen, durchschaut. Irgendwie hatten sie alles herausbekommen.
Verzweifelt versuchte er zu leugnen.
„Aber … Herr … ich … ich weiß nicht, was Ihr meint … Von welchen Fehlern sprecht Ihr?“, entgegnete er, wobei er seiner Stimme einen empörten Klang zu verleihen suchte.
„Elender Wicht. Du wagst es tatsächlich, den Unschuldigen zu spielen?“
Jetzt begann Todesangst Ruperts Miene zu verzerren. Seine Stimme wurde schrill. „Aber Herr … ehrwürdiger Prior .… Ich bin wirklich unschuldig … Lasst Euch erklären …“
Es waren seine letzten Worte. Ohne weiter auf sie einzugehen, stieß der Rote blitzschnell zu und rammte die Klinge tief in den Hals seines Opfers.
Rupert wollte noch schreien, doch er gab nur noch ein gurgelndes Röcheln von sich. Fontänenartig schoss das Blut aus dem weit auseinanderklaffenden Spalt in seinem Hals. Er knickte ein, fiel auf die
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