Der Seelenhändler
wollenen Fetzen in seine Gürteltasche. Nochmals leuchtete er mit dem brennenden Ast das Gewölbe ab, konnte allerdings nichts mehr entdecken. „Kommt, wir kehren um!“, sagte er schließlich.
„Habt Ihr eigentlich schon daran gedacht, was wir meinen Soldaten sagen werden? Ich denke, wir sollten ihnen nicht unbedingt auf die Nase binden, was geschehen ist. Andererseits: Wie sollen wir ihnen den Umstand erklären, dass sie zwei Männer kommen und nur einen von ihnen wieder gehen sahen?“, bemerkte der Saurauer, während sie dem Ausgang der Höhle zustrebten.
„Ihr habt völlig Recht. Sie dürften von all dem nichts mitbekommen haben, und so soll es auch bleiben. Je weniger darüber Bescheid wissen, desto besser“, entgegnete Wolf und fuhr nach kurzem Überlegen fort: „Wir sagen einfach, dass wir die beiden belauschen konnten und uns daraufhin entschlossen haben, nicht sofort zuzuschlagen. Weil es eine günstigere Gelegenheit geben wird, die es uns ermöglicht, außer an die beiden noch an weitere Ketzer heranzukommen. Während sich der eine wieder davonmachte, entschloss sich der andere, in der Höhle zu übernachten, aus welchen Gründen auch immer. – Seht, nun ist es zur Gänze herniedergebrannt.“ Wolfs letzter Satz galt dem Feuer, das nur noch verhalten glimmte, als sie wieder am Eingang der Höhle angelangt waren.
Eine Weile noch warteten sie, dann machten sie sich endgültig auf den Rückweg. Noch hatten sie die Stelle nicht erreicht, an der der Pfad die Biegung beschrieb, als weit hinter ihnen plötzlich ein klagendes Wiehern ertönte. Erschrocken wandten sie sich um. Ruperts Pferd. Dort, wo der Pfad auf das winzige Plateau mündete, das sie soeben erst verlassen hatten, spielte das Mondlicht um die Silhouette des Tieres – ein schwarzer, einsamer, herrenloser Schatten.
Sie sahen sich an.
„Sollen wir es mitnehmen?“, fragte der Saurauer.
Wolf schüttelte den Kopf. „Nein. Wenn wir plötzlich mit dem Pferd Ruperts auftauchen, könnte uns das verraten. Es wird sich schon irgendwie zurechtfinden.“
Noch lag Dunkelheit über der Abtei, als die Männer vor der Klosterpforte erschöpft aus dem Sattel glitten, doch das würde sich bald ändern. Hinter dem Horizont wartete die Sonne bereits darauf, den müde gewordenen Mond abzulösen – es war höchste Zeit, aufs Lager zu kommen.
22
Trotz der Strapazen der vergangenen Nacht, und obwohl er verhältnismäßig wenig Schlaf genossen hatte, fühlte Wolf sich rundum wohl.
Um die vierte Stunde des Tages herum trat er aus dem Haus des Abtes, nachdem er Otto Metschacher über das Ergebnis der nächtlichen Exkursion informiert hatte. Entsetzt war dieser dem Bericht Wolfs zunächst gefolgt. Dann aber, als sich ihm die Bedeutung der neu gewonnenen Erkenntnisse erschloss, wich die anfängliche Bestürzung unverhohlener Erleichterung; endlich war es gelungen, ein gewaltiges Stück voranzukommen. Allerdings bestand Wolf darauf, die Sache weiterhin mit absoluter Verschwiegenheit zu behandeln. Das galt auch für die Besprechung, die in Steyr anstand.
Als Wolf über den Hof schritt, fiel ihm zum ersten Mal seit Langem sein Traum vom Schachspiel wieder ein – zumindest eines der beiden Spiele schien sich dem Ende zuzuneigen, und es sah ganz danach aus, als ob er der Sieger sein würde.
In aufgeräumter Stimmung machte er sich daran, Katharina aufzusuchen. Auf die Frage, wo er sie denn finden könne, hatte Bruder Theobald ihm das provisorische Armarium genannt. Es befand sich in der Nähe des Abtshauses und damit außerhalb des nur den Konventualen vorbehaltenen Klausurbereichs. Dort ruhte vorübergehend eine große Anzahl von Schriften, die man aufgrund bestimmter Umbauarbeiten, die in der eigentlichen Bibliothek vonstatten gingen, ausgelagert hatte.
Als Wolf in die vom Licht der Vormittagssonne durchflutete provisorische Bibliothek trat, der auch ein kleines Scriptorium angegliedert war, wunderte er sich. Auf den ersten Blick war niemand zu sehen; der große Saal schien menschenleer zu sein. Dann aber fiel ihm ein, dass Metschacher trotz des Sonntags eine besondere Kapitelversammlung einberufen hatte, um vor seiner Abreise nach Steyr noch einige Dinge zu klären.
Nach Katharina Ausschau haltend, durchquerte Wolf den Raum, an dessen Wänden sich hoch aufstrebende Regale erstreckten, randvoll bis unter die Decke mit Büchern gefüllt. Unzählige Bände reihten sich dicht an dicht: dicke und dünne, beeindruckend große und bescheiden kleine, und gemeinsam
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