Der Seelenhändler
strömten sie jenen Ehrfurcht gebietenden Geruch nach altem Pergament und Leder aus, der das Herz jedes forschenden Geistes höherschlagen lässt – den Geruch gespeicherten Wissens, der wohl allen Bibliotheken der Welt zu eigen ist und der von dem unstillbaren Durst des Menschen nach Erkenntnis und der ewigen Sehnsucht kündet, die Welt begreifen zu wollen.
Während er an den Regalen vorbeischritt, musterte Wolf die Buchrücken, deren akribische Beschriftung verheißungsvoll auf den gelehrten Inhalt zwischen zwei mit Leder bezogenen Holzdeckeln schließen ließ. Amüsiert lächelte er, als er bemerkte, dass das Umlagern der altehrwürdigen Bände die gewohnte Ordnung in den Regalen etwas durcheinandergebracht zu haben schien. Da standen Ciceros De officiis und Horaz’ De arte poetica in stiller Eintracht neben Albertus Magnus’ De animalibus und Avicennas Mineralia , während Aegidius Corboliensis’ De urina“ und Rhazes’ Antidotarius sich mit Aristoteles’ Rhetorica ad Alexandrum zu verbrüdern schienen.
In einer der vielen Nischen des Saales entdeckte er schließlich Katharina – und blieb wie gebannt stehen.
Vor einem der schmalen, hoch aufstrebenden Glasfenster stand sie an einem Lesepult über einen mächtigen Folianten gebeugt. Ihre Gestalt war von einer Aura aus Licht umwoben, und mit ihrem hochgesteckten blonden Haar, das in der Sonne gleißte, bot sie einen atemberaubenden Anblick. Für einige Augenblicke hatte Wolf das Empfinden, dass nicht die verschwenderisch einfallenden Sonnenstrahlen, sondern Katharinas Gegenwart selbst es war, die die gesamte Nische mit einem durchscheinenden Glanz aus Gold erfüllte.
Es war die Transzendenz dieses Augenblicks, dieses Miraculum aus Anmut und Licht, das ihn auf eine bisher nie gekannte Weise gleichermaßen betörte wie ergriff. Wenn es je einen Moment in seinem Dasein gegeben hatte, da er sich einem Bild vollkommener Reinheit und Schönheit gegenübersah, dann war es hier und jetzt der Anblick dieser von den Strahlen der Sonne umschmeichelten Frau.
Mit einem Mal spürte er, wie eine unbändige Zuneigung in den Tiefen seiner Seele Raum zu greifen begann. Zwar war er sich schon seit geraumer Zeit im Klaren darüber, dass er Katharina liebte. Jetzt aber hatte er das Empfinden, als ob die Macht dieser Liebe alle Fasern seines Wesens erfasste und sein Inneres bersten lassen wollte. Er wollte auf sie zugehen, ihr alles offenbaren, was in diesem Moment an Gefühlen und Gedanken in ihm hochbrandete – allein, er vermochte es nicht; massiv und unverrückbar erhob sich die Mauer einer eigentümlichen Zurückhaltung wie ein Damm in seinem Innern, die seiner Leidenschaft trotzte. Eine Zurückhaltung, die er sich nicht erklären konnte. War es die Scheu, das Bild der Reinheit, das sich ihm bot, zu zerstören, oder die Furcht davor, in einen obsessiven Taumel zu verfallen, der die Gefahr barg, dieser einzigartigen Frau in unangemessener Weise zu nahe zu treten?
Er wusste es nicht.
Er stand noch immer bewegungslos an derselben Stelle, als sie zufällig den Kopf wandte und überrascht und fast ein wenig erschrocken bemerkte, das jemand sie beobachtete. Da Wolf im Schatten eines der Regale stand, nahm sie erst auf den zweiten Blick wahr, dass es sich um ihn handelte.
„Wolf! Ihr!“
Jetzt erst löste sich seine Starre.
„Ja, ich. Verzeiht, ich wollte Euch nicht erschrecken, Katharina“, sagte er verlegen und räusperte sich.
„Aber ich bitte Euch. Hätte ich gleich gewusst, dass Ihr es seid, wäre ich nicht erschrocken; ganz im Gegenteil“, erwiderte sie lächelnd.
Er trat näher.
„Darf man wissen, über welchen Dingen Ihr gerade brütet?“, fragte er, ebenfalls lächelnd. Er blickte auf den aufgeschlagenen Folianten. Auf den matt im Licht der Sonne glänzenden pergamentenen Seiten schien die Schrift wie ein munterer Bach dahinzufließen; jeder Buchstabe eine Welle, gezähmt vom Bett der Zeilen, dessen Höhe und Breite ein fachkundiger Schreiber festgelegt hatte. Das linke Blatt schmückten kunstvoll ineinander verschlungene Blattgirlanden, die sich um eine Initiale rankten – ein von geübter Hand in kräftigen Farben gemaltes, wunderschön geschwungenes „O“.
Wolf trat noch einen Schritt näher an das Pult heran.
Osculetur me osculo oris sui quia meliora sunt ubera tua vino – Er küsse mich mit Küssen seines Mundes! Denn deine Liebe ist köstlicher als Wein, las er.
Überrascht sah er Katharina an.
„Ihr lest im Canticum canticorum – dem
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