Der Seelenhändler
vorsichtig hinter die Tür.
Befriedigt stellte er fest, dass der Platz gut gewählt war. Deutlich konnte er nun die Stimmen der beiden Personen voneinander unterscheiden, und obwohl die Unterhaltung sehr leise geführt wurde, verstand er jedes Wort. Mehr noch. In einer der Stimmen erkannte er unzweifelhaft einen seiner Schüler, den krankhaft ehrgeizigen Benno von Freienberg, wieder, der, wie jedermann an der äußeren Schule wusste, nichts mehr hasste, als dass es jemanden gab, der besser war als er.
„Was willst du denn noch? Ich hab dir schon alles gesagt, was ich über ihn weiß. Ich hab mir sogar des Nachts seine Zehe angesehen, wie du es von mir verlangt hast. Obwohl damit ein großes Risiko verbunden war. Und du hast mir versprochen, dafür zu sorgen, dass er nicht wiederkehrt. Aber du hast dich nicht daran gehalten. Es hat ihn lediglich am Bein erwischt“, raunte Benno gerade.
„Ja, es ging schief. Aber verlass dich drauf: Ich werde mein Versprechen halten. Ich brauche nur noch einmal deine Hilfe.“ Die Stimme, die antwortete, war Vitus unbekannt. Es war die dunkle Stimme eines Mannes. Der Mann sprach etwas undeutlich, fast so, als habe er einen Sprachfehler.
„Meine Hilfe? Wie sollte ich dir helfen können?“
„Gib ihm einfach diesen versiegelten Brief.“
„Einen Brief? Was steht darin?“
„Etwas, das ihn veranlassen wird, zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort zu kommen. Und zwar allein – du verstehst?“
„Warum sollte er von mir einen solchen Brief annehmen? Er wird misstrauisch sein. Er weiß, dass ich ihn nicht leiden kann.“
„Du sollst ihm den Brief ja auch anonym zukommen lassen. Das wird den Reiz, zu dem angegebenen Treffpunkt zu kommen, für ihn außerdem nur erhöhen. Leg den Brief zur Sext einfach auf den Tisch an seinem Platz im Refektorium. Und glaube mir – die Botschaft ist so verlockend, dass er alles tun wird, um zu kommen. Und dann …“
Obwohl Bruder Vitus die unmissverständliche Geste, die der Sprecher in diesem Augenblick machte, nicht sehen konnte, lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter.
„Nun, wenn das so ist, her mit dem Brief!“, antwortete Benno.
„Hier – und nun geh wieder nach oben. Es wird Zeit, dass wir verschwinden.“
Gerade noch rechtzeitig gelang es dem Schulmeister, sich hinter einer der Säulen zu verbergen, die die Decke der Eingangshalle stützten, als Benno vorsichtig wieder ins Innere des Gebäudes trat. Vorsichtig hastete er die Treppe hinauf und entschwand in Richtung Dormitorium.
Kaum dass der Schüler oben war, öffnete Bruder Vitus die Tür erneut einen winzigen Spalt und sah in den Hof hinaus. Sein Blick folgte dem Unbekannten, der gerade dabei war, in einem Durchgang zu verschwinden, durch den man zu den Ställen gelangte.
Kurz entschlossen trat der Schulmeister in den Hof und folgte ihm.
Es war etwa eine halbe Stunde nach Mitternacht.
Kühles, mattes Licht wob sich in die nächtliche Stille, flutete in den Kreuzgang und goss ein Muster toter Schatten auf den Boden.
Plötzlich aber drang das Läuten einer Glocke durch das Dunkel, und in das Geviert aus steinernen Säulen und Bögen kehrte mit einem Mal Leben ein – sich bewegende Schatten, die über ihre unbelebten Brüder hinweghuschten, begleitet von jenem rhythmisch klatschenden Geräusch sandalenbeschuhter Füße, das seit Jahrhunderten vom nächtlichen Gang der Mönche zur Matutin kündet.
Die Brüder des Stiftes zu Admont befanden sich auf dem Weg zum ersten Gottesdienst des neuen Tages. Pünktlich geweckt von den Fratres vigilantes , die, indem sie eine bestimmte Anzahl von Psalmen beteten und auf diese Weise die Zeit zählten, die Nacht über wachten, um dann zur gegebenen Stunde ihre schlafenden Mitbrüder zum Lob des Herrn zu rufen.
Ächzend öffnete sich die Tür zur Stiftskirche, und in den vom Schein der Kerzen spärlich erleuchteten Chorraum strömten Dutzende schwarzer Gestalten. Sie warfen sich nieder und rezitierten auf dem steinigen Boden ausgestreckt die ersten fünfzehn Psalmen. Dann traten, geleitet von Bruder Ansgar, die Novizen mit ihrem Meister herzu, um sich schließlich gemeinsam mit den Mönchen ins Chorgestühl zu begeben und den Eröffnungsvers aus dem fünfzigsten Psalm zu singen. Laut hallte das Domine labia mea aperies et os meum adnuntiabit laudem tuam durch den Chor, brandete zum Gewölbe empor, während sich der Klang vieler Kehlen zu einem einzigen zu vereinigen schien und die Kirche mit jenem mystischen Gesang füllte,
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