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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler
Autoren: Peter Orontes
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hatten sie der Hitze wegen abgelegt. Dietrich, der Fuhrknecht, der hinten sitzend als Bremser fungierte und im Dienst der beiden Brüder stand, schöpfte in regelmäßigen Abständen mit einer hölzernen Kelle Wasser aus einem Fass, das neben ihm hing, und goss es über die wuchtigen Bremsklötze. Immer wenn er es tat, stieg zischend Dampf auf.
    Ein gutes Stück vorneweg ritten sechs der Soldaten des Grafen mürrisch des Weges; das Stechen der Sonne hatte ihnen die Lust am Plaudern genommen. Dasselbe galt auch für ihre vier Kameraden, die den Schluss des Trosses bildeten. Ohne es zu merken, waren sie zurückgefallen. Zwischen ihnen und den Kaufleuten aus Venedig, die, begleitet von dem weiblichen Ritter, dem Wagen in einigem Abstand folgten, klaffte eine erhebliche Lücke. Aber auch mit der Kondition der Venezianer stand es nicht gerade zum Besten. Weit vornübergeneigt saßen sie im Sattel, gähnten immer öfter und konnten sich nur noch mühsam auf dem Rücken ihrer Pferde halten. Einzig der Frau schien die drückende Hitze nichts anzuhaben; mit wachen Augen musterte sie aufmerksam die Umgebung.
    Inzwischen hatte der Zug den abschüssigsten Teil der Strecke hinter sich gebracht, das Gefälle wurde sanfter.
    Bald würde der Wald beidseits der Straße einer kleinen Lichtung weichen, die mit Gras und niederen Büschen bewachsen war. Rechter Hand ging das Gelände allerdings sehr rasch wieder in schroffe, bewaldete Steilhänge über, während linker Hand – einen tiefen Graben bergend und ebenfalls dicht bewaldet – die Admonter Höhe heranwuchs, nordwestlich davon lag das Tal der Laussa.
    Gero, einer der Waffenknechte, die die Nachhut bildeten, sinnierte vor sich hin. Er ritt als Letzter im Tross. Gegenwärtig war er wahrscheinlich der Munterste von allen. Denn so unangenehm die drückende Hitze war, so angenehm prickelnd waren seine Gedanken. Er dachte an Hilde. In einigen Wochen würden sie heiraten. Dann würde das Leben einen neuen Anfang nehmen. Hilde war eine der Mägde, die in der Küche auf Gallenstein diente und für das leibliche Wohl des Burggrafen zuständig war. Natürlich nur, was das Essen und Trinken anging. Für gewisse andere Dinge, die das Leben lebenswert machten, hatte der Graf wiederum andere Dienerinnen, die ihn nach Kräften verwöhnten. Alle wussten das. Abgesehen von seiner Frau, der fetten Gräfin, der man nie etwas recht machen konnte. Angelehnt an ihren Namen, Ottilie von Saurau, hatte man ihr einen Spitznamen verpasst, der sie nach Meinung vieler treffend kennzeichnete. Kurz und bündig wurde sie von jedermann respektlos „die Sau“ genannt. Selbstverständlich nur hinter ihrem Rücken.
    Gero grinste. Natürlich, auch Hilde war nicht gerade schlank. Aber bei ihr waren die Pfunde anders verteilt. Nämlich genau so, wie es sich für ein junges, dralles Ding gehörte. Genüsslich schnalzte er mit der Zunge. Heute Abend würde sie ihn wieder erwarten. An derselben Stelle wie sonst. Und dann …
    Gero kam nicht mehr dazu, den Gedanken zu Ende zu bringen. Denn in diesem Moment flog pfeilschnell der Tod heran und bohrte sich lautlos in sein Herz. Das Geschoss traf ihn von hinten. Für den Bruchteil eines Augenblicks nur nahm Gero noch einen Schlag in seinem Rücken wahr. Dann stürzte er, ohne einen Laut von sich zu geben, vom Pferd.
    Arco war der Nächste. Zwei Pferdelängen nur ritt er vor Gero her. Auch er hatte gerade an den bevorstehenden Abend gedacht. Aber nicht an so etwas Unanständiges wie Gero. Nein, nach einem Tag wie diesem, an dem einem die Hitze die Kehle trockenlegte, gab es nur eines, was Arco interessierte: ein wunderschöner großer Hum-pen voller Bier, mit einer Krone aus Schaum, gegen die die Krone des allergnädigsten Königs im fernen Prag geradezu verblasste.
    In Gedanken leerte Arco bereits seinen zweiten Humpen, dann war es vorbei. Der Bolzen, der ihn traf, drang ihm von hinten in die Halswirbel. Er durchbohrte die Kehle und löschte so für immer seinen Durst.
    Danach waren Siegbert und Gieselher an der Reihe. Bedauerlicherweise dachten sie an gar nichts, als der Tod sie ereilte. Als die Bolzen in ihre Körper schlugen, hatten sie einfach nur vor sich hin gedöst. Fast gleichzeitig fielen sie vom Pferd.
    Die Frau und Lodovico, der aus dem alten venezianischen Kaufmannsgeschlecht der Polos stammte, waren die Ersten, die aufmerkten. Das seit Stunden vertraute Geräusch rumpelnder Räder, unter denen Sand und Steine knirschten, war mit einem Mal verstummt.
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