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Der Seelenhändler

Der Seelenhändler

Titel: Der Seelenhändler
Autoren: Peter Orontes
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Stattdessen waren von der Spitze des Zuges her Geschrei und Flüche zu hören, was auch die beiden anderen Kaufherren unsanft aus ihrem Halbschlaf riss. Die Vorhut schien plötzlich gestoppt zu haben. Der Grund dafür war jedoch nicht auszumachen, denn sowohl der Karren als auch die vorneweg reitenden Waffenknechte befanden sich hinter einer scharfen, nicht einsehbaren Biegung, die der Weg an dieser Stelle beschrieb.
    Unwillkürlich brachten die vier ihre Pferde zum Stehen.
    Plötzlich sahen sie Dietrich, den Fuhrknecht, der hinten auf dem Wagen gehockt hatte, um die Kurve biegen. Aufgeregt schreiend rannte er auf sie zu und fuchtelte wild mit den Armen. Dann aber blieb er abrupt stehen, und sein Geschrei brach ab – fast so, als ob ihm ein noch größeres Entsetzen Körper und Stimme lähmte. Ungläubig starrte er in Richtung der vier Reiter, nackte Angst stand ihm im Gesicht.
    Für den Bruchteil eines Augenblicks starrten die Männer und die Frau fragend zu ihm zurück. Bis ihnen klar wurde, dass Dietrich nicht sie anstarrte, sondern irgendetwas Grauenvolles, das sich hinter ihrem Rücken befinden musste.
    Fast gleichzeitig fuhren sie herum – und erstarrten ebenfalls.
    Ein gutes Stück hinter ihnen tänzelten vier herrenlose Pferde. Ihre Reiter lagen bewegungslos am Boden.
    Die Frau reagierte als Erste. Einen Laut von sich gebend, von dem man nicht wusste, ob er eine Verwünschung oder eine Äußerung des Schreckens darstellte, sprang sie vom Pferd und rannte am Rand des Waldes entlang.
    „Porca miseria. Attenzione, attenzione!“, fluchte Lodovico und sprang ebenfalls aus dem Sattel.
    „Madonna mia, cosa è successo?“, brüllte Francesco Lombardi, der eine venezianische Bank sein Eigen nannte und mit dem regierenden Dogen verwandt war.
    „Banditi, assassini, aiuto! – Banditen, Mörder, Hilfe!“, kreischte Luigi dal Pietra, der mit kostbarem Tuch und Gewürzen handelte, mit hoher Stimme.
    „Presto, presto, nascondiamoci nel bosco – Schnell, schnell, verstecken wir uns im Wald!“, schrie Lodovico Polo wieder, der mit allem handelte.
    Doch da brachen sie auch schon zwischen den Bäumen hervor: mehr als ein Dutzend Männer, die Gesichter mit schwarzem Tuch vermummt. Während mehrere von ihnen sich auf die Venezianer stürzten, gelang es der Frau vorerst, unbehelligt weiterzufliehen.
    Dann aber brüllte eine Stimme: „Verdammt! Ivo, Kaspar! Die Frau, achtet auf die Frau! Sie darf nicht entkommen“, woraufhin sich ein Lulatsch, der fast nur aus endlos langen Beinen zu bestehen schien, und ein kleinwüchsiger Glatzkopf an die Fersen der Flüchtenden hefteten. Als die Frau die Schritte ihrer Verfolger im Rücken vernahm, blickte sie sich um und registrierte sofort die Ausweglosigkeit ihrer Lage; vor allem der Langbeinige würde sie gleich eingeholt haben. Zu allem Unglück tauchte in diesem Moment auch noch ein dritter Kerl auf, der sich ihr plötzlich in den Weg stellte.
    „Oho, warum so eilig, mein hübscher Ritter?“, lachte er ihr entgegen.
    Blitzschnell löste sie den Riemen ihres Lederhelms und riss ihn sich vom Kopf. Die atemberaubend blonde Pracht, die darunter hervorquoll, hatte auf den Strauchdieb eine fast hypnotische Wirkung: aus weit aufgerissenen Augen glotzte er die auf ihn zustürmende Frau sekundenlang an, ohne sich zu rühren.
    „Da, nimm das von deinem hübschen Ritter, du Schwein!“, rief die Frau und schleuderte ihm den mit kantigen Metallnieten besetzten Lederhelm mit aller Kraft entgegen.
    Mit einem Aufschrei schlug der Mann die Hände vors Gesicht und ging wimmernd in die Knie, während die Flüchtende an ihm vorbeijagte, unvermittelt einen Sprung zur Seite machte und zwischen den Bäumen verschwand.
    Die Männer, die sie verfolgten, waren von dem Geschehen so überrascht, dass sie einige Augenblicke zögerten, bevor sie den Haken nachvollzogen. Doch die wenigen Sekunden genügten der Fliehenden, um zwischen Stämmen und Sträuchern hindurchzuflitzen und den Abstand zu ihren Verfolgern zu vergrößern. Plötzlich entdeckte sie einen umgestürzten Baumstamm vor sich, dessen übermannshoher Wurzelstock ihr die Möglichkeit eines Verstecks bot. Sie warf sich hinter ihm zu Boden und entdeckte, unter einem Gewirr armdicker Wurzelstränge verborgen, eine Erdhöhle. Ohne lange zu überlegen, zwängte sie sich, mit den Füßen voran, in das finstere Loch hinein und ließ sich einfach fallen. Der stechende Schmerz, der sofort darauf in ihren linken Fuß fuhr, ließ sie diese
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