Der Seelenleser
einfach, mir zu sagen, dass ich Hilfe benötige. Was gibt es sonst noch Neues?«
» Sie werden nicht warten wollen, bis Krey versucht, wieder Kontakt mit Ihnen aufzunehmen. Sie müssen etwas tun…«
» Verdammt«, explodierte Lore. » Ich weiß das, Vera. Ich weiß nur nicht, was.« Sie fluchte erneut und sprang auf, wütend auf sich selbst, wütend auf Krey, wütend auf ihre Angst. Sie ging zu den Fenstern hinüber, durch die sie auf den Vorgarten schauen konnte, und ging dort auf und ab, den Blick nach außen gerichtet.
Vera stand ebenfalls auf und gesellte sich zu ihr ans Fenster.
» Ich weiß jemanden, der in der Lage sein könnte, Ihnen zu helfen.« Da– sie hatte es gesagt. Sie hatte begonnen, die Grenzen zu verwischen.
Lore blieb stehen und drehte sich zu ihr um. » Sie wissen › von‹ jemandem, der › könnte‹– was reden Sie da?«
» Ich kenne Leute, die wiederum Leute kennen«, sagte Vera steif und versuchte, den richtigen Tonfall zu finden. » Aber ich brauche Ihre Erlaubnis, um etwas in die Wege leiten zu können.«
» Kein Privatdetektiv.«
» Garantiert nicht.«
» Was ist er dann?«
» Das wird er selbst erklären. Ich muss nur wissen, ob Sie mit jemanden reden wollen, der… Ihnen in dieser Sache helfen kann.«
Lore blickte zu Vera hinüber. » Diskret.«
» Ja.«
Lore ließ sich diese neuen Möglichkeiten durch den Kopf gehen. Mit geröteten Augen und einem verquollenen Gesicht sah sie äußerst erschöpft aus. Sie führte die Papiertücher zu ihrer Nase und hielt sie dort fest, während sie Vera ansah. Dann ließ sie ihre Hände sinken.
» Wie soll das funktionieren?«
» Ich benötige eine Telefonnummer, unter der Sie sich sicher fühlen. Ich gebe die Nummer an jemanden weiter, und der gibt sie dann an die richtige Person.«
» Ich hoffe nur, dass der Mann wirklich gut ist«, sagte Lore schniefend. Dann diktierte sie die Telefonnummer.
Kapitel 11
Fane wartete auf einer Bank im Huntington Park. Auf der anderen Seite des Brunnens lehnten sich in der Nähe der Pergolen ein halbes Dutzend älterer Chinesinnen im Nachmittagslicht in eine langsame, traurige Tai-Chi-Bewegungssequenz.
Er entdeckte Moretti, bevor Moretti ihn sah. Moretti überquerte gerade den Platz vor der Grace Cathedral und wurde von einer Horde Touristen verschluckt, die aus dem Eingang strömte. Als die Gruppe begann, die Taylor Street zu überqueren, verstreute sie sich plötzlich, und Moretti stieg als Einziger die Stufen zum Huntington Park hoch.
Er lächelte, als er in seinem üblichen lockeren Schritt zu Fane herüberkam. Fane war wie immer von Morettis unruhigen Gesichtszügen fasziniert, die manchmal seine chinesische Mutter und manchmal seinen sizilianischen Vater durchscheinen ließen. Im Moment war er eher Shen als Moretti.
» Du siehst elegant aus«, sagte Moretti, als er die Bank erreicht hatte und sich setzte.
» Du hast mich schon eine Weile nicht mehr gesehen«, sagte Fane.
Moretti lächelte und machte es sich auf seiner Seite der Bank bequem. Er ließ seinen Blick über Fanes Erscheinung schweifen. » Du willst von mir etwas über Vera List hören.«
» Sie war mit deiner Schwester befreundet?«
» Richtig«, nickte Moretti, dessen Augen gerade die Tai-Chi-Gruppe entdeckt hatten. » Ich selbst kenne sie kaum. Aber ich bin mit meiner Schwester ein paar Mal bei Vera gewesen. Nette Frau, das war mein Eindruck. Du hast dich schon mit ihr getroffen, nehme ich an.«
» Ja.«
» Interessant?«
» Sehr.«
» Wusstest du, dass ihr Ehemann ermordet wurde?«
Einen Sekundenbruchteil lang war Fane wütend, weil er das nicht gewusst hatte. » Nein.«
» Vor ungefähr neun Monaten. Auf offener Straße überfallen, ausgeraubt, erschossen. Sie haben nie jemanden deswegen einsperren können.«
» Was ist passiert?«
» Er war auch so ein Psychoanalytiker. Sie wohnten damals in Saint Francis Wood. Er bekam eines Abends einen Anruf– ein Klient in einer Krise oder so etwas. Unterwegs hielt er im Mission District an einem kleinen Lebensmittelladen und ging gerade zum Auto zurück. Er wurde erschossen. Sie haben alles mitgenommen: Uhr, Ehering, Brieftasche. Sogar die Schuhe.
» Kinder?«
» Nein. Ihnen reichten die Partnerschaft und ihre Arbeit wohl völlig. Nach dem Mord hat Vera das Haus verkauft und ist in eine Eigentumswohnung in Laurel Hills gezogen. Dort lernte sie dann Gina kennen. Gina ist eine sympathische Person und kann gut zuhören. Am Anfang redete Vera viel, du kannst dir das
Weitere Kostenlose Bücher