Der Seelenleser
an?«, fragte Fane.
» In letzter Zeit– ja«, antwortete Lore.
» Warum haben Sie ihn in der letzten Zeit öfter als sonst angerufen?«
» Warum müssen Sie das wissen?«
» Sie werden wieder Kontakt zu ihm aufnehmen müssen«, sagte Fane. » Um das Risiko für Sie minimieren zu können, will ich wissen, was in seinem Kopf vorgeht.«
Sie zögerte. » Ja, in Ordnung. Das macht Sinn.« Sie schlug ihre Augen nieder und knabberte an ihrer Unterlippe. Sie war nicht nur unglaublich attraktiv, ihr Gesicht barg zudem jede Menge Nuancen, die er nicht ohne Weiteres deuten konnte.
Schließlich rollte sie mit den Augen, gab ihren Widerstand auf. » Weil… wir in der letzten Zeit ein wenig Rollenspiel gemacht haben.« Sie sagte das, als ob ihre Antwort eine abschließende Erklärung sei, mit der sie das Thema beenden könnte.
» Rollenspiel?« Als Townsend wusste er nichts über ihre Psychoanalyse, über ihre Vorlieben, über die seltsamen Gratwanderungen dieser Beziehung.
Sie blitzte ihn wütend an, weil es ihr unangenehm war, alles erklären zu müssen. » Oh Mann«, blaffte sie ihn an, doch unterbrach sich sofort, als sie sich daran erinnerte, dass sie ihn noch brauchte. » Ich habe gewisse Fantasien. Wir spielen sie nach, alles klar?«
» Prima. Hören Sie mir kurz zu, ich möchte, dass Sie mir berichten, wie das abläuft– ohne dabei in die unangenehmen oder schmutzigen Details abzurutschen. Denn das ist wichtig, darauf kann sich aufbauen, was wir tun werden.«
» Wie es abläuft?« Sie sah aus, als wollte sie gleich aufspringen und zur Tür hinausstürmen.
» Wenn wir es nicht richtig hinbekommen, wird er argwöhnisch. Sie müssen mir helfen, damit uns kein Fehler unterläuft.«
Fane vermutete, dass ihr abwehrendes Verhalten eine Folge ihrer Angst war. Krey war tiefer in ihr Denken vorgedrungen, als sie zugeben wollte.
» Okay… Es tut mir leid«, sagte sie. » Es macht Sinn, ja,… ich hätte das verstehen müssen.«
» Kein Grund zur Unruhe. Im Moment reden wir hier nur und versuchen, zusammen eine Lösung zu finden.«
Sie nickte und blickte auf ihre Hände. » In Ordnung«, seufzte sie. Sie schüttelte den Kopf und stand auf. » Verdammt.«
Sie waren von Verpackungskisten umzingelt, es gab keinen Platz zum Herumlaufen, aber sie konnte nicht still sitzen bleiben. Sie ging ein paar Schritte, dann wieder zurück. Das saphirblaue Kleid umfloss ihren Körper wie Wasser.
Sie drehte sich um, verschränkte die Arme und blickte ihn an.
» Es sind Spiele«, sagte sie. » Das hat sich langsam entwickelt. Das war nicht immer so. Vor mehreren Wochen habe ich ihm sehr detailliert Beschreibungen von vier Fantasien gegeben. Wir hatten abgemacht, dass er jeweils eine davon wählt und alles plant. Ich wusste vor unserem Treffen, welche der Fantasien er ausgesucht hatte. Das Nachspielen dauerte den ganzen Abend, manchmal auch die ganze Nacht.«
» Sie haben bewusst die Vergangenheitsform gewählt. Die Abmachung gilt nicht mehr?«
» Beim letzten Mal haben wir die letzte der Fantasien gespielt.«
» Wann würden Sie sich normalerweise wieder mit ihm treffen?«
» Das schwankt. Meistens setzt er sich mit mir in Verbindung.«
» Falls Sie ihn heute anrufen– wird er das verdächtig finden?«
» Ich glaube nicht.« Sie lehnte sich mit der Hüfte gegen einen Kistenstapel.
» Falls Sie ihn kontaktieren und ihm vorschlagen, sich irgendwo in der Öffentlichkeit zu treffen, wie würde er das interpretieren?«
» Er würde nach einem Grund fragen.«
» Das bedeutet, dass wir uns auch diesbezüglich etwas einfallen lassen müssen.«
Lore nickte. » Wann wollen Sie anfangen?«
» So bald wie möglich.«
Sie richtete die Augen auf ihn und ließ die Hände vor dem Körper sinken. Die Finger der einen Hand rieben das Handgelenk der anderen. Alles an ihr bestand aus scharfen Linien: der aufgetürmte Bob, die grell nachgezogenen Lippen. Und ihre Ängstlichkeit. Irgendetwas an ihr behagte Fane nicht ganz.
Vera hatte ihm Lores Gemütszustand genau beschrieben, und ihr Betragen gab keinen Hinweis auf den Stress, dem sie ausgesetzt war. Doch möglicherweise war sie schon dichter vor dem totalen Zusammenbruch, als er angenommen hatte. Wie viel Druck konnte sie noch ertragen? Das wusste niemand, und er würde ohnehin nichts dagegen tun können. Zurzeit war sie alles, was er an der Hand hatte.
Lore kehrte wieder zu ihrem Stuhl zurück, setzte sich und strich ihr Kleid mit präzisen Handbewegungen glatt.
» Sie müssen eines
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