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Der Seelenleser

Der Seelenleser

Titel: Der Seelenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harper Paul
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Dämmerung wurde hier und dort vom bläulichen Schein von Fernsehbildschirmen durchbrochen. Auf der Straße war es still.
    Sie gingen ein paar Häuser schweigend nebeneinanderher.
    » Du scheinst… angespannt zu sein«, sagte er.
    Ihr Herz setzte kurz aus, und aus ihrem Zwerchfell entwich alle Luft. » Gerade noch warst du besorgt, weil ich zu selbstbewusst bin«, sagte sie.
    » Dreist, aber angespannt.«
    Verflucht. Wusste dieser Kerl irgendetwas? Sie beschloss, es ihm heimzuzahlen. » Was ist los?«, fragte sie. » Du klingst selbst ein wenig mehrdeutig. Hast du denn Hintergedanken wegen irgendetwas?«
    Er antwortete nicht. Sie konnte spüren, wie er ihre Worte abwägte. Dieser Hundesohn hatte etwas mitgekriegt, und das machte sie wahnsinnig.
    Sie war schon immer etwas großspurig gewesen, aber das hatte auch dazu geführt, dass es mit ihr im Bett so viel Spaß gemacht hatte. Deswegen wusste er auch, dass sie einverstanden sein würde. Das und das Geld. Sie wollte das Geld dringend haben. Aber er wurde den Verdacht nicht los, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Vielleicht hatte sie doch Fracksausen und wollte es nur nicht zugeben. Das hatte er schon häufiger erlebt. Es gab da diese kribbelnde Nervosität, die einem die Nasennebenhöhlen freimachen konnte. Eine Art Lampenfieber. Jeder kannte das.
    » Also«, sagte er, » ich bin mir ziemlich sicher, dass es heute Nacht gemacht werden muss.«
    » Ich dachte, du hättest gesagt, dass es auf jeden Fall passiert.«
    » Ja, das habe ich.«
    Ein Duftschwaden wehte mit der feuchten Luft aus einem der Häuser herüber. Irgendjemand kochte etwas Deftiges, gut gewürzt, aber er konnte es nicht genau bestimmen.
    » Ich verstehe das nicht. Soll ich, oder soll ich nicht?«
    » Vielleicht, ich weiß es nicht.«
    Er hatte gemischte Gefühle. Er wollte sie noch ein wenig reizen, um herauszufinden, ob an der Stelle, an der er bohrte, nicht doch etwas war. Schauen, ob er ein besseres Gefühl dafür bekam. Doch falls nichts dahintersteckte, sollte er sie besser nicht zu sehr durcheinanderbringen, da sie nachher noch den Auftrag für ihn ausführen sollte.
    Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm. Wo sie standen, drang noch der Rand eines Lichtscheins von einer Veranda zu ihnen durch. Er konnte ihren Gesichtsausdruck sehen.
    » Was ist hier los?«, schimpfte sie. » Falls du mir etwas mitteilen willst, dann spuck es endlich aus. Ich kann mit deinen versteckten Anspielungen nichts anfangen. Ich weiß nicht, was du mir sagen willst und worauf du hinauswillst.«
    Nun, das hatte er nicht erwartet. Aber es gefiel ihm. Es klang aufrichtig.
    » Du hast Angst«, sagte er. » Und das macht mir Angst.«
    Sie starrte ihn überrascht an, und das ein paar Herzschläge zu lang. Selbst im blassen Licht konnte er sehen, dass sie nicht wusste, was sie mit ihrem Gesichtsausdruck machen sollte.
    » Nun, vielleicht«, sagte sie plötzlich nachgebend. » Ich bin… Ich bin ziemlich nervös deswegen. Ich… weiß wirklich nicht, warum. Es ist eigentlich nichts anderes als in den anderen Nächten, ich weiß, aber…, was weiß ich, du hast mich vorhin so erschreckt und bist dann gleich mit dem kurzfristigen Auftrag gekommen… Was könnte anders sein? Vielleicht andere Leute in der Nähe des Gebäudes…, unterschiedliche Routinen… Es ist nur, verdammt noch mal– erst bist du unerwartet aufgetaucht, und dann aus dem Nichts der Auftrag und… Scheiße, es hat mich halt total überrascht, und ich wollte nicht, dass du das siehst, und ich glaube, ich habe es nicht wirklich gut verbergen können.«
    Schließlich hörte sie mit dem Gestammel auf. Es war ein guter Versuch gewesen, aber es war zu spät. Für den Bruchteil einer Sekunde war ihr die List entglitten, ein tödlicher Fehler.
    » Es ist in Ordnung«, sagte er. » Ich kann das verstehen. Komm, lass uns weitergehen.«
    Er drehte sich von dem Licht weg und schlug den Weg zurück zur Parnassus Avenue ein. Sein Verstand lief jetzt zweigleisig. Vordergründig redete er ihr gut zu, als würde er versuchen, ihre angegriffenen Nerven wieder zu beruhigen, um sie glauben zu lassen, dass er ihre Geschichte geschluckt hatte. Das konnte er routinemäßig herunterspulen, ohne groß darüber nachzudenken. Aber die andere Hälfte seines Verstandes benutzte diese Phrasen wie ein Schwungrad und begann so schnell zu arbeiten, dass es bald das störende Rauschen der eigenen Stimme hinter sich gelassen hatte und sich daranmachen konnte, laserscharf ihren Täuschungsversuch

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