Der Seelenleser
nicht ohne jede Menge ungewünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Die Wahrheit ist, dass wir die Kroll-Geschichte von Beginn an verpfuscht haben. Wir müssen einfach das Beste daraus machen.«
Der Mann hielt inne. Seine Silhouette war im düsteren Licht nur undeutlich erkennbar. Auch wenn er vordergründig ruhig blieb, sein Zögern verriet, dass seine Gedanken intensiv arbeiteten. Er hatte recht, was Vector und Kroll anging– auch wenn die Katastrophe bislang ausgeblieben war, konnte sie jederzeit kommen. Sie hatten nicht viele Möglichkeiten.
» Ich möchte, dass Sie sich wieder mit Moretti in Verbindung setzen«, sagte der Mann. Sein Bariton klang jetzt noch weicher. Parker beugte sich zu ihm und hörte genau zu.
Nach drei Minuten waren sie fertig.
Sie waren schon beinahe am unteren Ende der Treppe angekommen, und Parker konnte die Rücklichter des Autos sehen, das in der Ord Street auf den Mann wartete.
Parker blieb stehen und wartete, während der Mann sich umdrehte und die letzten zwölf Stufen zur Straße alleine hinunterging. Er hörte, wie sich die Autotür öffnete und schloss. Die Bremslichter erloschen, und das Auto war fort.
Parker wartete einen Augenblick. Er schüttelte den Kopf. Dann drehte er sich um und ging die Treppe wieder hinauf, Stufe um Stufe in die immer tiefer werdenden Schatten.
Kapitel 29
Lore hatte ihre Schuhe abgestreift und die langen Beine übereinandergeschlagen. Ihr Fuß in der Strumpfhose wippte ungeduldig, und ihre schwarzen Augen bohrten sich förmlich in Fane.
Elise saß am äußersten Rand des Sofas. Sie hatte sich nach vorne gebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, die Hände verschränkt und eine Wange auf die Hände gelegt. Sie hatte schon lange nichts mehr gesagt.
» In Ordnung«, sagte Lore barsch. » Also müssen wir eine Gelegenheit für Ihr Überwachungsteam schaffen, sich an ihn dranzuhängen.«
» Das stimmt. Solange wir ihn nicht leibhaftig vor uns haben, können wir nichts erreichen: nicht herausfinden, wo er wohnt, wo er die Daten hat…«
» Und Sie denken, dass er sie zu Hause hat«, sagte Lore. » Das klingt plausibel. Warum rufe ich ihn dann nicht jetzt an und bitte ihn, sich mit mir zu treffen?«
» Sie haben mir beide erzählt, dass es nur selten vorgekommen ist, dass Sie die Treffen anregten. Dass er das normalerweise tut. Wie wird er also reagieren, wenn er plötzlich einen Anruf von Ihnen erhält?«
» Ich denke, das hängt davon ab, was ich sage.«
» Und was werden Sie sagen?«
» Was immer Sie mir vorschlagen.«
» Es gibt einen Grund dafür, dass Kroll die Treffen anbahnt«, sagte Fane. » Seine gesamte Ausbildung, sein ganzes Leben ist auf dem Wissen aufgebaut, dass er sich nur bei denjenigen Handlungen sicher sein kann, die von ihm ausgehen. Wenn jemand anderes agiert, kann er sich nicht sicher sein, was derjenige dabei im Hinterkopf hat. Wird er vorgeführt? Ist es eine Falle? Warum will sie von ihm, dass er das jetzt tut? Warum dort? Warum dann? Seine Sicherheitsbesessenheit rührt daher, dass er die Situation kontrollieren will. Wenn er alles unter Kontrolle hat, ist er sicher. Falls jemand anderes an den Hebeln sitzt, weiß er das nicht.«
» Dieser Bastard«, fluchte Lore. » Er hat alles choreographiert. Herrgott, er war richtig gut darin.«
Sie stand plötzlich auf und zog den Saum ihres Kleides zurecht. » Wissen Sie was? Ich wollte diesen elenden Dreckskerl nie wieder sehen, aber jetzt kann ich es kaum erwarten, ihn in die Finger zu bekommen.«
Sie schnappte sich ihre Schultertasche. » Ich muss mich kurz frisch machen«, sagte sie und ging zur Toilette, die vom Wartezimmer abging.
Vera war von den letzten Stunden erschöpft und setzte sich auf einen der Stühle, die vor ihrem Schreibtisch standen.
Elise saß immer noch nach vorne gebeugt, die Unterarme auf den Oberschenkeln. Sie schaute auf ihre verschränkten Hände.
» Ich möchte Sie etwas fragen«, sagte sie sanft und blickte auf. » Gestern Abend haben Sie gesagt, dass Sie vermuten, dass Ray– Ryan versucht, mich in eine Falle zu locken.«
Er nickte.
» Ich… frage mich gerade, ob Sie inzwischen eine genauere Ahnung haben, worauf er aus sein könnte?«
» Ich glaube, dass ich damit falsch gelegen haben könnte«, gestand Fane ein.
Elise warf ihm einen verwirrten Blick zu.
Fane merkte, dass Vera genau zuhörte. » Seit gestern Abend habe ich noch viel über ihn erfahren. Ziemlich viel.«
Er zögerte. Sie nutzte die Pause, um nachzuhaken.
» Es hat
Weitere Kostenlose Bücher