Der Seelensammler
erzählen
lassen, um sich seiner Identität zu versichern: Clemente hatte im Hotelzimmer
in seinen Sachen gesucht und dort einen vatikanischen Diplomatenpass mit einer
falschen Identität sowie seine Notizen gefunden. Eine Art Tagebuch, in dem
Marcus alles, was ihn betraf, in groben Zügen festgehalten hatte. Vielleicht
weil er nicht wollte, dass im Falle seines Todes nur eine namenlose Leiche
übrig blieb. Diesem Tagebuch hatte Clemente entnommen, wer er war. Bestätigt
hatte sich das jedoch erst, als Marcus ihn nach seiner Entlassung aus dem
Krankenhaus zum Schauplatz eines noch nicht lange zurückliegenden Verbrechens
geführt hatte. Marcus war allein durch die Besichtigung des Tatorts in der Lage
gewesen, ihm ziemlich genau zu schildern, was dort passiert war.
»Ich habe mich mit dieser Information an meine Vorgesetzten
gewandt«, fuhr Clemente fort. »Sie wollten, dass ich die Sache auf sich beruhen
lasse. Doch ich habe nicht lockergelassen, weil ich der Meinung war, dass du
genau der Richtige bist, der uns weiterhelfen kann. Am Ende konnte ich sie
davon überzeugen. Doch du wurdest nie einfach nur benutzt, wenn dir das Sorgen
macht: Du bist für uns eine Riesenchance.«
»Wenn es mir gelingt, den verräterischen Pönitenziar zu finden – was
wird dann aus mir?«
»Dann wirst du endlich frei sein, verstehst du das nicht? Aber
nicht, weil das irgendjemand dann so verfügt: Du kannst sofort aussteigen, wenn
du das willst. Es hängt allein von dir ab. Niemand zwingt dich, zu bleiben.
Aber ich weiß, dass du wissen willst, wer du wirklich bist. Und was du jetzt
tust, hilft dir, genau das herauszufinden. Wenn du ehrlich bist, musst du das
zugeben.«
»Aber danach sind diese Pönitenziare endgültig Geschichte. Und
diesmal werdet ihr dafür sorgen, dass es auch so bleibt.«
»Es gibt einen Grund, warum der Orden abgeschafft wurde.«
»Und der wäre?«, hakte Marcus nach. »Los, sag schon!«
»Es gibt Dinge, die weder ich noch du verstehen können. Beschlüsse,
die Vorgesetzte getroffen haben und die ganz bestimmten Erfordernissen
geschuldet sind. Unsere Pflicht als Gottesmänner besteht darin, zu gehorchen,
ohne Fragen zu stellen. Wir müssen darauf vertrauen, dass man an höherer Stelle
weiß, was für uns gut ist.«
Schwalben flatterten zwischen den antiken Säulen umher und
zwitscherten in der frischen Morgenluft. Der Tag hatte mit Sonnenschein
begonnen, aber die funkelnde Pracht passte nicht zu Marcus’ düsterer Stimmung.
So unschlüssig er auch war – die Vorstellung, anders zu leben, schreckte ihn
nicht. Seit er von seiner Begabung erfahren hatte, hatte er sich verpflichtet
gefühlt. So als sei es seine Aufgabe, eine Lösung für das Böse zu finden. Doch
jetzt zeigte ihm Clemente eine Alternative auf. Andererseits hatte er recht:
Was er da tat, half ihm weiter. Wenn er Lara finden und den Pönitenziar stoppen
konnte, hatte er es verdient, gehen zu dürfen. Anschließend wäre das
akzeptabel.
»Was soll ich tun?«
»Finde heraus, ob das Mädchen noch am Leben ist, und rette es!«
Die einzige Möglichkeit, das zu tun, bestand darin, den Spuren des
Pönitenziars zu folgen, so viel wusste Marcus. »Es ist ihm gelungen, Fälle zu
lösen, die bei uns als ungeklärt galten. Er ist gut.«
»Das bist du auch! Sonst wärest du nicht auch auf die Lösungen
gekommen. Du bist wie er!«
Marcus wusste nicht, ob er diesen Vergleich tröstlich oder eher
beängstigend finden sollte. Trotzdem, er musste weitermachen bis zum bitteren
Ende. »Diesmal lautet das Aktenzeichen c.g. 925-31-073 .«
»Dieser Fall wird dir nicht gefallen!«, warnte ihn Clemente und zog
eine Akte unter seinem Regenmantel hervor. »Jemand ist tot, aber wir wissen
nicht, um wen es sich handelt. Sein Mörder hat das Verbrechen gebeichtet, aber
wir kennen seinen Namen nicht.«
Marcus nahm Clemente die Aktenmappe ab, die ihm extrem leicht und
dünn vorkam. Er schlug sie auf und sah, dass sie nur ein handbeschriebenes
Blatt enthielt.
»Was ist das?«
»Die Sündenbeichte eines Selbstmörders.«
7 Uhr 40
Sandra wurde davon wach, dass jemand über ihre Wange
strich. Sie schlug die Augen auf und erwartete, Schalber neben sich
vorzufinden. Doch sie war allein. Trotzdem hatte sie die Berührung deutlich
gespürt.
Ihr Gefährte dieser seltsamen Nacht war bereits aufgestanden. Sie
hörte die Dusche rauschen. Gut so! Sandra wusste nicht, ob sie ihm so begegnen
wollte. Noch nicht. Sie brauchte erst etwas Zeit für sich. Denn jetzt, am
helllichten
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