Der Seelensammler
sollte sie sich jetzt verhalten? Mit einem Mal fühlte sie sich
furchtbar befangen. Um sich abzulenken, sah sie auf die Uhr. Sie war seit zwanzig
Minuten wach, und Schalber war noch immer im Bad. Sie hörte nach wie vor die
Dusche rauschen, merkte aber erst jetzt, wie monoton das Rauschen klang. Das
Geräusch war konstant, so als treffe das Wasser auf keinerlei Widerstand.
Sandra sprang auf und stürzte zur Badezimmertür. Die Klinke ließ
sich leicht herunterdrücken. Eine Dampfwolke hüllte sie ein. Sie versuchte, sie
mit der Hand wegzuwedeln, und warf einen Blick auf die Duschkabine: Hinter dem
opaken Glas war kein Schatten zu sehen. Sie riss die Tür auf.
Das Wasser lief, aber niemand stand darunter.
Es gab nur einen Grund für Schalber, sich solch eines Tricks zu
bedienen. Sandra drehte sich abrupt zur Toilette um. Sie hob den Deckel des
Spülkastens und sah, dass die Plastikhülle, die sie dort versteckt hatte, noch
da war. Sie holte sie heraus, um ihren Inhalt zu überprüfen. Statt Davids
Beweisfotos enthielt sie eine Fahrkarte nach Mailand.
Sandra setzte sich auf den feuchten Boden und raufte sich die Haare.
Ihr war zum Weinen zumute. Sie verbot sich die Frage, ob die Zuneigung, die sie
in der vergangenen Nacht gespürt hatte, in Wirklichkeit Teil des Betrugs
gewesen war. Stattdessen dachte sie wieder an den Abend, als David und sie sich
geliebt hatten, obwohl sie ihm etwas verheimlichte. Lange hatte sie versucht,
dieses Geheimnis zu verdrängen, aber jetzt hörte es nicht auf, sie zu quälen.
Ja, ich habe gesündigt!, gab sie zu. Und Davids Tod war meine
Strafe.
Sie versuchte, Schalber auf dem Handy zu erreichen. Aber die
Roboterstimme, die ihr mitteilte, der Anschluss sei vorübergehend nicht
erreichbar, machte alle ihre Hoffnungen zunichte. Er war für sie nicht mehr zu
sprechen, da war sie sich sicher. Doch sie hatte keine Zeit, sich Vorwürfe zu machen,
sie musste handeln.
Sie hatte eine Abmachung mit dem Priester mit der Narbe an der
Schläfe. Aber jetzt, da Schalber das Foto von ihm besaß, konnte er ihn leicht
identifizieren. Würde er den Priester verhaften, wäre das für sie das Aus. Die
Spur, die zum Mörder ihres Mannes führte, endete bei dem dunklen Foto. Der Pönitenziar
war also ihre letzte Hoffnung.
Sie musste ihn warnen, bevor es zu spät war.
Doch sie wusste nicht, wie sie ihn erreichen konnte. Gleichzeitig
konnte sie nicht warten, bis sich der Pönitenziar von sich aus meldete, wie er
es versprochen hatte. Sie musste dringend etwas unternehmen.Villeicht gab es
Neuigkeiten im Figaro-Fall.
Im Museum der Seelen im Fegefeuer hatte
sie dem Priester am Vorabend einen Hinweis gegeben. Er hatte ihr zugehört und
war sofort mit den Worten davongeeilt, er müsse sich beeilen, bevor es zu spät
sei.
Sandra ging in die Küche und schaltete das kleine Fernsehgerät auf
der Kommode ein. Nachdem sie mehrmals hin und her geschaltet hatte, landete sie
bei einer Nachrichtensendung. Die Moderatorin berichtete, dass im Park Villa
Glori die Leiche einer bisher noch nicht identifizierten jungen Frau gefunden
worden sei. Dann kam sie auf weitere Gräueltaten zu sprechen und nannte die
Namen zweier Toter in Trastevere: Federico Noni und Pietro Zini.
Sandra traute ihren Augen kaum. Welche Rolle hatte sie bei alldem gespielt?
War sie in irgendeiner Weise für die Todesfälle verantwortlich? Als sie von der
Abfolge der Ereignisse erfuhr, beruhigte sie sich wieder: Während dieses Drama
seinen Lauf nahm, hatte sie sich gerade mit dem Pönitenziar unterhalten. Er war
also auch nicht dabei gewesen, als es passierte.
Der Fall Figaro galt als abgeschlossen. Er konnte sie also nicht
mehr zu den Pönitenziaren führen.
Sie war frustriert, wusste nicht, wo sie anfangen sollte.
Moment mal!, dachte sie. Woher hatte Schalber noch mal gewusst, dass
die Pönitenziare sich mit dem Fall Figaro beschäftigt hatten?
Er hatte in einer Villa vor den Toren Roms, die gerade von der
Polizei durchsucht wurde, Wanzen installiert und die Pönitenziare, als sie dort
waren, abgehört.
Welche Villa war das gewesen? Und was hatte die Pönitenziare dorthin
geführt?
Sandra nahm ihr Handy aus der Tasche und rief die Nummer an, die
ganz oben auf ihrer Anrufliste stand. Nach dem sechsten Läuten ging De Michelis
dran.
»Was kann ich für dich tun, Vega?«
»Ispettore, ich brauche noch mal deine Hilfe.«
»Dafür bin ich ja da.« Er war guter Laune.
»Weißt du zufällig, ob unsere Kollegen in den letzten Tagen eine
Villa in
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