Der Seelensammler
die
von Kameras überwacht werden. Und von den Fußballfans in der Bar wird Sie
bestimmmt auch jemand wiedererkennen. Gut auch die Idee, ein Bußgeld für zu
schnelles Fahren zu provozieren. Das Gleiche gilt für den Autobahntrip: Die Mautstationen
registrieren, wann man auf- und wieder abgefahren ist. Sie hinterlassen Spuren,
sorgen dafür, dass jede Ihrer Bewegungen genau verfolgt werden kann. Aber was
ist Ihr Ziel?«
Der Mann trat drohend auf ihn zu. Seine Augen funkelten wütend, weil
er entlarvt worden war. »Was soll das?«
Furchtlos erwiderte Marcus seinen Blick. »Ich möchte Ihnen helfen.«
Der Mann wollte schon zuschlagen, konnte sich jedoch gerade noch
zurückhalten. Seine aufbrausende Art zeigte sich an seiner Gestik, aber auch an
den hochgezogenen Schultern: Martini wirkte wie ein Löwe kurz vor dem Angriff.
»Sind Sie ein Bulle?«
Marcus ließ ihn in dem Glauben. »Alberto Canestrari, Astor Goyash –
kennen Sie diese Namen?«
Martini reagierte nicht darauf. Sein Blick flackerte nicht mehr, er
wirkte nur verwirrt.
»Kennen Sie sie nun oder nicht?«
»Wer, zum Teufel, bist du?«
»Du haust ab, stimmt’s? Und wir haben etwas gemeinsam: Auch du
willst jemandem helfen, aber wem?«
Bruno Martini wich einen Schritt zurück, als hätte man ihm ins
Gesicht geschlagen. »Das darf ich nicht sagen.«
»Du musst dich mir anvertrauen, sonst ist alles sinnlos. Diese
Person wird es nicht schaffen, Gerechtigkeit herzustellen. Sie wird noch heute
Abend sterben.« Marcus trat auf ihn zu und fragte erneut: »Wer ist es?«
Der Mann lehnte sich an eines der Waschbecken und fasste sich an die
Stirn. »Sie ist gestern zu mir gekommen und hat mir gesagt, dass ihr
verschwundener Sohn tot ist. Und dass sie die Möglichkeit hat, den Mörder zu
finden.«
»Camilla Rocca.« Damit hatte Marcus nicht gerechnet.
Martini nickte. »Was uns vor drei Jahren widerfahren ist, hat uns
zusammengeschweißt. Nach Alices und Filippos Verschwinden sind aus ihnen so
etwas wie Geschwister geworden. Camilla und ich haben uns auf einem Kommissariat
kennengelernt, unser Schmerz verbindet uns. Camilla hat sich um mich gekümmert,
als meine Frau mich verließ. Sie ist die Einzige, die mich versteht. Deshalb
konnte ich nicht Nein sagen, als sie mich um die Pistole gebeten hat.«
Marcus traute seinen Ohren nicht: Ausgerechnet die Familie, die sich
so gut arrangiert hatte, die ein neues Kind hatte, die versuchte, wieder nach
vorn zu schauen! Das war reine Illusion. Erst jetzt begriff er, wie raffiniert
Camillas Plan war: Sie hatte ihren Mann im Unklaren gelassen und nutzte seine
Abwesenheit aus. Er war ahnungslos, denn wenn ihr etwas passierte, musste er
sich um das Kind kümmern. Deshalb war es am Nachmittag auch nicht bei ihr
gewesen. Sie hatte es jemandem anvertraut.
»Camilla wusste von deiner illegalen Pistole. Du hast sie ihr gegeben
und dann versucht, dir ein Alibi zu verschaffen – falls irgendetwas schiefgeht
und die Polizei die Waffe zu dir zurückverfolgt. Schließlich hast du sie schon
einmal benutzt, als du glaubtest, Selbstjustiz üben zu müssen.« Marcus wusste,
dass er Martini in die Enge getrieben hatte. Jetzt würde er mit der Wahrheit
herausrücken. »Hat Camilla dir erzählt, was sie vorhat?«
»Vor einigen Tagen bekam sie einen anonymen Anruf. Ein Mann sagte
ihr, dass sie sich heute Abend nur in ein Hotelzimmer begeben müsse, um den
Mann zu treffen, der ihren Sohn ermorden ließ. Der Mann, der den Mord in Auftrag
gegeben hat, heißt Astor Goyash. Du hast den Namen eben genannt.«
»Welches Hotel, welches Zimmer?«, fragte Marcus sofort.
Martini starrte weiterhin auf seine Schuhe. »Ich habe überlegt, was
ich an ihrer Stelle getan hätte. Niemand weiß, ob das wirklich die Wahrheit
oder nur ein geschmackloser Scherz ist. Aber diese ständigen Zweifel sorgen
dafür, dass man irgendwann alles glaubt. Das Schweigen ist unerträglich. Man
will einfach nur, dass es aufhört. Kein anderer kann es hören, aber es ist die
reinste Folter, macht einen vollkommen verrückt.«
»Pistolenschüsse werden es auch nicht abstellen … Ich flehe dich an,
bitte sag mir, wo Camilla jetzt ist!«
»Hotel Exedra, Zimmer 303.«
20 Uhr
Die Temperatur war um mehrere Grad gefallen, und ein
feiner Nebel hatte sich herabgesenkt. Die Laternen tauchten ihn in ein
orangefarbenes Licht, das ihn wie Feuer aussehen ließ.
Auf der Piazza mit dem Obelisken und dem kleinen Elefanten
unterhielten sich Gottesdienstbesucher nach der Messe. Sandra
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