Der Seelensammler
Moment
auftauchen. Aber dem war nicht so. Goyash wurde zu einem anderen Fahrstuhl
geleitet. Als sich die Türen schlossen, wusste Marcus, dass er sich beeilen
musste. Schon bald würde seine Anwesenheit vom Videoüberwachungssystem bemerkt
werden. Und dann würde ihn jemand vom Sicherheitspersonal höflich fragen, was
er hier zu suchen habe. Er wandte sich an den Portier und fragte nach dem
Zimmer, das er kurz zuvor mit Bruno Martinis Handy reserviert hatte. Man bat
ihn um einen Personalausweis, und Marcus zeigte den falschen vatikanischen
Diplomatenpass vor, mit dem ihn Clemente zu Beginn seiner Ausbildung versorgt
hatte.
»Ist Frau Camilla Rocca bereits eingetroffen?«
Der Portier musterte ihn und schien nicht so recht zu wissen, ob er
ihm die Information geben durfte. Marcus hielt seinem Blick stand, woraufhin
dieser schließlich sagte, die Signora habe ihr Zimmer vor einer Stunde bezogen.
Marcus wusste genug. Er bedankte sich und bekam eine Keycard: Sein Zimmer lag
im zweiten Stock. Er ging auf die Fahrstühle zu, die nicht von Goyashs Leuten
bewacht wurden. Als er in der Kabine stand, drückte er auf den Knopf für den
dritten Stock.
Die Türen öffneten sich auf einen langen Flur hin. Marcus sah sich
um, aber es waren keine Leibwächter zu sehen. Das erschien ihm seltsam. Er
überflog die Zimmernummern und ging in Richtung Raum 303. Er bog um eine Ecke,
legte noch gut zehn Meter zurück und stand der Tür gegenüber. Auch hier waren
keine Leibwächter, was ungewöhnlich war. Vielleicht waren sie bei Goyash im
Zimmer. Außen leuchtete die Anzeige »Bitte nicht stören«. Marcus wusste nicht,
was er tun sollte, schließlich klopfte er. Nach ungefähr zwanzig Sekunden
wollte eine Frauenstimme wissen, wer er sei.
»Ich gehöre zum Sicherheitspersonal des Hotels. Tut mir leid, wenn ich
störe, aber ein Rauchmelder in Ihrem Zimmer hat Alarm geschlagen.«
Das Schloss wurde geöffnet, und die Tür ging auf. Zu seiner großen
Überraschung stand er vor einem blonden, höchstens vierzehnjährigen Mädchen.
Sie war halb nackt und nur in ein Laken gehüllt. Dem weggetretenen Blick
entnahm er, dass sie unter Drogen stand.
»Ich habe mir eine Zigarette angezündet. Ich wusste nicht, dass das
so schlimm ist«, entschuldigte sie sich.
»Keine Sorge, ich muss das nur kontrollieren.« Ohne ihre Erlaubnis
abzuwarten, schob er sie beiseite und betrat den Raum.
Er stand in einer Suite. Das erste Zimmer war ein Wohnraum mit
dunklem Parkett, einer Sitzgruppe, einem riesigen Plasmafernseher und einer
mobilen Bar. In einer Ecke stapelten sich Geschenke. Marcus sah sich um. Außer
dem Mädchen schien niemand anwesend zu sein.
»Ist Herr Goyash da?«
»Der ist im Bad. Soll ich ihn rufen?«
Marcus ignoriere ihr Angebot und begab sich ins Nebenzimmer. Das
Mädchen folgte ihm verärgert und vergaß, die Tür zu schließen. »He, wo wollen
Sie hin?«
Dort stand ein großes ungemachtes Bett. Auf einem Nachttisch sah er
einen Spiegel mit Kokain-Lines und einen zusammengerollten Geldschein. Der
Fernseher war laut aufgedreht, und es liefen Musikvideos.
»Verlassen Sie sofort das Zimmer!«, herrschte ihn das Mädchen an.
Marcus verschloss ihr mit einer Hand den Mund und gab ihr zu
verstehen, dass jeder Protest zwecklos war. Sie verstummte, wirkte nun
verängstigt. Marcus ging auf die Badezimmertür zu und zeigte fragend darauf.
Das Mädchen nickte: Goyash war da drin. Der laute Fernseher verhinderte, dass
man hören konnte, was auf der anderen Seite der Tür vor sich ging.
»Ist er bewaffnet?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. Marcus begriff, dass die
Minderjährige der Grund war, warum der alte Bulgare seine Leibwächter kurz
weggeschickt hatte. Ein kleines Geschenk, bestehend aus Sex und Kokain, kurz
vor der eigentlichen Geburtstagsfeier.
Er wollte das Mädchen gerade bitten zu gehen, als er Camilla Rocca
auf der Schwelle entdeckte. Neben ihren Füßen stand eine offene
Geschenkschachtel, und in den Händen hielt sie eine Pistole. In ihren Augen
loderte dunkel der Hass.
Instinktiv streckte er die Hand aus, so als könnte sie das
aufhalten. Das Mädchen stieß einen Schrei aus, der in der lauten Rockmusik
unterging. Marcus schubste sie weg, und die Vierzehnjärige versteckte sich
voller Panik hinter dem Bett.
Camilla atmete tief durch, so als wollte sie sich Mut machen. »Astor
Goyash?« Anscheinend wusste sie, dass es sich um einen älteren Mann handelte.
Marcus versuchte, ruhig zu bleiben und sie zur Vernunft zu
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