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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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gemeint.«
    Marcus erstarrte. Wer war bei ihm? Er beschloss, kurz den Kopf zur
Tür hineinzustecken, um nachzusehen. Und er zog ihn nicht mehr zurück.
    Jeremiah Smith saß auf dem Bett. Er trug einen zu kurzen
Krankenhauskittel. Die wenigen Haare, die er noch hatte, standen ihm zu Berge.
Er sah aus wie ein Clown, wie jemand, der gerade erst aufgewacht ist. Mit einer
Hand kratzte er sich am Oberschenkel, mit der anderen drückte er eine Pistole
in den Nacken einer Frau, die vor ihm auf dem Boden kniete.
    Die Polizistin war bei ihm.
    Nachdem Marcus nun wusste, woher Jeremiah die zweite Waffe hatte,
betrat er den Raum.
    Sandra trug die Handschellen, die Jeremiah ihrem wachhabenden
Kollegen abgenommen hatte, nachdem er ihn erschossen hatte. Unverzeihlicherweise
war sie eingeschlafen. Geweckt hatten sie drei rasch aufeinanderfolgende Explosionen.
Sie hatte die Augen geöffnet und sie als Schüsse identifiziert. Sofort hatte
sie nach der Pistole in ihrem Halfter gegriffen, aber sie war verschwunden.
    Erst da hatte sie bemerkt, dass das Bett neben ihr leer war.
    Ein vierter Schuss, und sie sah die Szene vor sich, als hätte sie
sie mit ihrer Canon-Reflex fotografiert: Jeremiah steht auf und nimmt ihr die
Pistole ab. Er geht am Personalraum vorbei und schaltet die Nachtschwestern und
den Arzt aus. Der Polizist an der Tür hört die Schüsse. Doch bis er die
Sicherheitsschiebetür geöffnet hat, steht Jeremiah bereits direkt davor. Er
erschießt ihn aus nächster Nähe.
    Sandra war losgerannt. Sie wollte ihn stoppen, obwohl sie unbewaffnet
war. In diesem Moment fühlte sie sich für die ganze Situation verantwortlich,
weil sie ihrer Müdigkeit nachgegeben und nicht aufgepasst hatte. Aber
vielleicht steckte mehr dahinter.
    Warum hatte er sie am Leben gelassen?
    Sie hatte den Flur betreten, konnte Jeremiah aber nirgendwo
entdecken. Sie war zum Ausgang geeilt, doch als sie am Medikamentenraum
vorbeikam, sah sie ihn. Er stand da und starrte sie mit einem hässlichen
Grinsen an. Sie war erschüttert. Dann hatte er die Pistole auf sie gerichtet
und ihr die Handschellen zugeworfen.
    »Los, leg sie an! Gleich amüsieren wir uns.«
    Sie hatte gehorcht, und dann hatte das Warten begonnen.
    Am Boden kauernd, gab Sandra dem Priester mit der Narbe an der
Schläfe durch einen Blick zu verstehen, dass es ihr gut ging und er sich keine
Sorgen machen musste. Er nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte.
    Wieder dieses Gelächter von Jeremiah. »Und? Freust du
dich, mich zu sehen? Ich habe mir schon ewig gewünscht, einen anderen
Pönitenziar kennenzulernen. Lange dachte ich, ich wäre der einzige. Ich bin mir
sicher, dir ist es genauso ergangen. Wie heißt du?«
    Marcus hatte nicht vor, dem Kerl entgegenzukommen.
    »Los, raus mit der Sprache!« Jeremiah ließ nicht locker. »Du kennst
meinen Namen. Da ist es nur fair, dass ich den des Mannes erfahre, der so
schlau war, mich aufzustöbern.«
    »Marcus«, sagte er und bereute es sofort wieder. »Lass die Frau
frei!«
    Jeremiah wurde ernst. »Tut mir leid, lieber Marcus. Sie ist Teil
meines Plans.«
    »Von welchem Plan redest du?«
    »Ehrlich gesagt war ich angenehm überrascht, als sie mich besuchte.
Eigentlich hatte ich vor, eine der Krankenschwestern als Geisel zu nehmen. Aber
nachdem sie schon da war … Wie nennen wir das gleich noch mal?« Er hob den Zeigefinger,
verdrehte die Augen und tat so, als fiele es ihm gerade nicht ein. »Ach so, ja: Auffälligkeiten .«
    Marcus half ihm nicht auf die Sprünge, sondern schwieg.
    »Die Anwesenheit dieser jungen Dame ist der beste Beweis dafür, dass
meine These stimmt.«
    »Welche These?«
    »›Böses gebiert Böses.‹ Hast du das etwa noch nie gehört?« Er verzog
missbilligend das Gesicht. »Eigentlich habe ich nicht mehr erwartet, ihr zu
begegnen. Aber vor einiger Zeit habe ich ihren Mann kennengelernt.«
    Sandra sah zu ihm auf.
    Jeremiah sprach weiter: »David Leoni war ein guter Reporter,
das lässt sich nicht leugnen. Er war auf die Pönitenziare gestoßen. Ich bin ihm
in einem gewissen Abstand gefolgt und habe viel von ihm gelernt. Es war …
lehrreich, all diese Details aus seinem Privatleben zu erfahren.« Mit einem
Blick auf die Polizistin fügte er hinzu: »Während dein Mann in Rom war, bin ich
nach Mailand gereist, um mir ein Bild von dir zu machen: Ich habe eure Wohnung
betreten, in euren Sachen herumgewühlt, aber du hast nichts bemerkt.«
    Sandra fiel das Lied auf Davids Aufnahmegerät ein, das
sein Mörder gesungen hatte:

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