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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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verwehtes Hohngelächter, und die Statuen, die den
verwilderten Garten schmückten, starrten ihn aus leeren Augen an.
    Er erreichte die Villa. Türen und Fenster waren versiegelt. Er
erwartete nicht, dort auf den Pönitenziar zu treffen. Die Botschaft war
deutlich: Aber diesmal wirst du den Teufel suchen müssen.
    Das war seine letzte Prüfung. Im Gegenzug würde er Antworten
erhalten.
    Bedeutete die Aufforderung, dass er nach übernatürlichen Hinweisen
Ausschau halten sollte? Doch dann rief er sich in Erinnerung, dass die
Pönitenziare keinerlei Interesse am Teufel hatten, im Gegenteil: Sie waren die
Einzigen in der Kirche, die seine Existenz bezweifelten. Sie hatten ihn immer
schon für eine bequeme Ausrede gehalten, die sich die Menschen ausgedacht hatten,
um keine Verantwortung für ihre Schuld und ihre Schwächen übernehmen zu müssen.
    Der Teufel existiert nur, weil die Menschen böse sind.
    Marcus entfernte das Polizeisiegel von der Tür und betrat das Haus.
Das Mondlicht folgte ihm nicht hinein, sondern blieb auf der Schwelle zurück.
Marcus nahm keinerlei Geräusche wahr, die auf die Anwesenheit anderer
hinwiesen.
    Er zog die Taschenlampe hervor und tastete sich langsam durch den
Flur mit den dunklen Wänden vor. Er musste an seinen ersten Besuch in der Villa
denken, daran, wie er dem Zahlenrätsel auf der Rückseite der Bilder gefolgt
war. Wenn der Pönitenziar wollte, dass er hierhin zurückkehrte, musste er etwas
übersehen haben. Er ging zu dem Zimmer, in dem der sterbende Jeremiah Smith
gefunden worden war.
    Der Teufel wohnt nicht mehr hier, sagte er sich.
    Ihm fiel auf, dass etwas fehlte: Der umgestürzte Tisch, die Scherben
der Milchschale und die Kekskrümel waren von der Spurensicherung mitgenommen
worden. Genauso wie die sterilen Handschuhe, die Gaze, die Spritzen und Kanülen,
die das Rettungsteam verwendet hatte. Auch die Fetischgegenstände – das
Haarband, das Korallenarmband, der rosafarbene Schal und der Rollschuh –, mit
denen das Monster die Geister seiner jungen Opfer heraufbeschwor, damit sie ihm
in langen einsamen Nächten Gesellschaft leisteten, waren nicht mehr da.
    Was blieb, waren die Fragen.
    Wie hatte es Jeremiah Smith – ein älterer, wenig attraktiver
Eigenbrötler – geschafft, sich das Vertrauen der Mädchen zu erschleichen? Wo
hatte er sie einen Monat lang gefangen gehalten, bevor er sie tötete? Wo war
Lara?
    Marcus verbot sich in diesem Moment die Frage, ob sie noch am Leben
war. Er hatte alle ihm gestellten Aufgaben unter größter Einsatzbereitschaft
gelöst – einen negativen Ausgang würde er einfach nicht akzeptieren.
    Er sah sich um. Auffälligkeiten. Der
Hinweis, nach dem ich suche, ist nicht übernatürlich, dachte er. Sondern etwas,
das nur ein Gottesmann erkennen kann. Diesmal musste er auf eine Begabung
zurückgreifen, die er bereits verloren glaubte.
    Sein Blick wanderte durchs Zimmer und suchte nach etwas, das von der
Normalität abwich. Nach dem winzigen Riss, der in eine andere Dimension führte,
dem Weg, den das Böse nahm, um sich immer weiter auszubreiten.
    »Es gibt einen Ort, in dem das Reich des Lichts
auf das der Finsternis trifft … Wir sind die Wächter,
die diese Grenze verteidigen. Aber manchmal mogelt sich jemand an uns vorbei.« Sein Blick blieb am Fenster hängen. Jenseits davon versuchte der Mond, ihn auf
etwas aufmerksam zu machen.
    Er breitete die Flügel aus und sah in seine Richtung: Der steinerne
Engel rief nach ihm.
    Er stand mit anderen Statuen im Garten. In der Heiligen Schrift
stand, dass Luzifer ein gefallener Engel war, Gottes Lieblingsengel. Als Marcus
das einfiel, rannte er ins Freie.
    Er blieb vor der riesigen Statue stehen, die in blaues Mondlicht
getaucht war.
    Die Polizei hat nichts bemerkt!, dachte Marcus, als er den Boden zu
Füßen des Engel musterte. Wenn da unten etwas war, hätten die Suchhunde es
eigentlich wittern müssen. Aber die nach dem Dauerregen der letzten Tage aus
der Erde aufsteigenden Gerüche mussten die Tiere verwirrt haben.
    Marcus stützte sich auf den Sockel der Statue, drückte dagegen,
woraufhin sich der Engel bewegte und eine eiserne Falltür freigab. Sie war
nicht verschlossen, man brauchte sie nur anzuheben.
    Die Öffnung war dunkel, starker Modergeruch stieg wie fauliger Atem
daraus auf. Marcus leuchtete mit der Taschenlampe hinein: Sechs Stufen führten
in den Abgrund. Doch nichts war zu hören, keine Stimme, kein Geräusch.
    »Lara!«, rief er. »Lara, Lara, Lara!« Doch es kam keine

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