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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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Antwort.
    Vorsichtig stieg er die Treppe hinab.
    Der Lichtkegel erhellte einen schmalen Raum mit niedriger Decke und
gefliestem Boden, der ab einem gewissen Punkt nach unten abfiel. Früher war das
bestimmt ein Schwimmbad gewesen, aber dann hatte jemand ein Versteck daraus
gemacht.
    Die Taschenlampe suchte nach Spuren menschlicher Anwesenheit. Marcus
befürchtete, nur noch einen leblosen Körper vorzufinden. Aber Lara war nicht
hier.
    Nur ein Stuhl.
    Es gab nichts, was die Hunde hätten wittern können!, dachte er.
Dabei war er sich sicher, dass Jeremiah die Mädchen hierhergebracht hatte. Das
war seine Höhle, in der er sie einen Monat lang gefangen hielt und anschließend
tötete. An die Wände waren keine Ketten angeschmiedet, nichts wies auf
Folterspielchen oder sadistische Neigungen hin. Es gab keinen Ort für
Geschlechtsverkehr. Keine Misshandlung, keine Gewalt, rief sich Marcus in
Erinnerung: Jeremiah rührte sie nicht an. Er beschränkte sich auf diesen Stuhl,
neben dem das Seil lag, mit dem er sie fesselte. Zwanzig Zentimeter weiter
stand ein Tablett mit dem Messer, mit dem er ihnen später die Kehle
durchschnitt. Nur darin bestand die perverse Phantasie dieses Monsters.
    Marcus ging auf den Stuhl zu und sah, dass ein verschlossener
Umschlag darauf lag. Er nahm ihn, um ihn zu öffnen. Darin befanden sich der
Originalgrundriss von Laras Wohnung, auf dem auch die geheime Falltür im Bad
verzeichnet war, und eine Liste mit Laras Tagesablauf. Notizen zu dem Plan, das
Narkosemittel im Zucker zu verstecken, und ein Foto von der lächelnden
Studentin. Auf ihrem Gesicht prangte ein rotes Fragezeichen. Du willst mich
wohl verarschen!, dachte Marcus und meinte den Pönitenziar. Der Umschlag
enthielt die Beweise dafür, dass Jeremiah das Mädchen tatsächlich entführt
hatte.
    Aber von Lara selbst fehlte jede Spur, ebenso wie von dem
geheimnisvollen Gefährten, der ihn bis hierher gelotst hatte.
    Marcus kochte vor Wut. Der Pönitenziar war wortbrüchig geworden. Er
verwünschte ihn, verwünschte sich selbst. Derart verhöhnt worden zu sein, war
unerträglich. Er wollte nur noch weg. Er wandte sich zum Gehen, als ihm die Taschenlampe
aus der Hand rutschte. Im Fallen beleuchtete sie etwas hinter ihm.
    In der Ecke hinter ihm stand jemand.
    Er hatte ihn beobachtet und sich nicht von der Stelle gerührt. Im
Lichtkegel sah man nur die Umrisse eines Armes. Er trug Schwarz. Marcus bückte
sich, um die Taschenlampe aufzuheben, und richtete sie langsam auf den Fremden.
    Doch es war kein Mensch, sondern ein Priestergewand auf einem Bügel.
    Mit einem Mal war ihm alles klar: So hatte sich Jeremiah Smith
seinen Opfern genähert. Die Mädchen hatten keine Angst vor ihm, weil sie den
Gottesmann sahen und nicht das Monster.
    Eine Tasche des Gewands war ausgebeult. Marcus ging darauf zu und
steckte die Hand hinein. Er zog ein Medizinfläschchen und eine Subkutanspritze
heraus – Succinylcholin .
    Er hatte sich nicht getäuscht. Und trotzdem erzählten die
Gegenstände in dieser Tasche eine ganz andere Geschichte.
    Jeremiah hat alles selbst getan.
    Er wusste, dass die Schwester eines seiner Opfer an jenem Abend
Notdienst hatte. Also hatte er den Krankenwagen gerufen und die Symptome eines
Herzinfarkts beschrieben. Er hatte auf die Ankunft des Rettungsteams gewartet
und sich dann das Gift gespritzt. Die Spritze konnte er in eine Zimmerecke oder
unter ein Möbelstück geworfen haben. Die Besatzung des Krankenwagens würde sie
in der Aufregung nicht bemerken, und die Spurensicherung würde sie dem Material
zuordnen, das Ärztin und Pfleger hinterlassen hatten.
    Er hat sich nicht als Priester verkleidet. Er ist
ein Priester.
    Vor etwa einer Woche musste er mit der Umsetzung seines Plans
begonnen und die anonymen Botschaften an diejenigen verschickt haben, die in
den Mord an Valeria Altieri verwickelt waren. Dann hatte er dafür gesorgt, dass
Pietro Zini die Mail bekam, die zum Figaro-Fall führte. Anschließend hatte er
Camilla Rocca angerufen, um ihr zu sagen, dass Astor Goyash sich in einigen
Tagen im Hotel Exedra aufhalten würde.
    Er ist der Pönitenziar.
    Die ganze Zeit über hatten sie ihn vor Augen gehabt, ohne zu ahnen,
wer er tatsächlich war. Wie der Chirurg Alberto Canestrari hatte Jeremiah sich
Succinylcholin injiziert, mit dem der Arzt einen natürlichen Tod simuliert
hatte. Keine toxikologische Untersuchung konnte das nachweisen. Es genügte eine
Dosis von einem Milligramm, um die Atemmuskulatur zu lähmen. Nach

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