Der Seelensammler
stellten
diese Lebewesen eine echte Provokation dar. Seine Beute war genauso: Sie kannte
es nicht anders. Ein Stück weit empfand der Jäger Bewunderung für diesen Mann.
Letztendlich kämpfte er ums Überleben.
Mit der Betäubungspistole im Anschlag ging er in den dritten Stock.
Er erreichte Jean Duez’ Wohnungstür und brach sie problemlos auf. In der Stille
hörte man nur das Ticken einer Pendeluhr. Die Wohnung war nicht sehr groß,
höchstens achtzig Quadratmeter, verteilt auf drei Zimmer, Küche, Bad. Vor ihm
lag ein kurzer Flur.
Unter der einzigen geschlossenen Tür entdeckte er einen Lichtstreifen.
Der Jäger drang weiter vor, versuchte, sein Gewicht möglichst
geräuschlos zu verteilen. Er erreichte das erste Zimmer. Schnell trat er über
die Schwelle und zielte mit der Pistole hinein. Es war die Küche, und sie war
leer. Alles war aufgeräumt und sauber. Die Teller auf der Anrichte, der
Toaster, das Tuch über dem Ofengriff. Es fühlte sich seltsam an, den Bau seiner
Beute zu betreten, in ihre Welt einzudringen. Er ging weiter zum Bad. Auch dort
war niemand. Weiße und grüne Fliesen im Schachbrettmuster. Eine einzige
Zahnbürste. Ein Kamm aus falschem Schildpatt. Im nächsten Raum stand ein großes
Doppelbett. Die Tagesdecke war aus bordeauxrotem Samt. Ein Wasserglas auf dem
Nachttisch. Lederpantoffeln. Und eine Regalwand voller Modellautos: Jean Duez’
Leidenschaft.
Der Jäger verließ das Zimmer und stand schließlich vor der
geschlossenen Tür. Er lauschte. Von der anderen Seite her war kein Geräusch zu
vernehmen. Er senkte den Blick und sah auf den goldenen Lichtschein, der sich
zu seinen Füßen ausbreitete. Er wurde durch keinen Schatten unterbrochen, was
bewiesen hätte, dass sich jemand im Raum befand. Dafür bemerkte er am Boden ein
Zeichen, wie er es noch nie gesehen hatte.
Einen Kranz aus kleinen braunen Punkten.
Blut, dachte er. Doch er durfte sich jetzt nicht mit solchen Details
aufhalten. Er durfte nicht zögern, sich nicht ablenken lassen. Seine Beute war
raffiniert und komplex, das durfte er nicht vergessen. Sosehr sie ihn auch
faszinierte – er wusste, dass die Abgründe ihrer Seele keinen Ausweg boten: Auf
keinen Fall würde er sich mit dem leibhaftigen Ungeheuer messen wollen, das sie
bewohnte.
Seine einzige Chance bestand darin, als Erster zu handeln, seine
Beute zu überraschen. Dieser Moment war jetzt gekommen. In wenigen Sekunden
würde die Jagd vorbei sein. Erst anschließend würde alles einen Sinn ergeben.
Er machte einen Schritt zurück und trat dann die Tür ein. Er zielte
mit der Betäubungspistole, in der Hoffnung, seine Beute sofort zu entdecken.
Aber er sah sie nicht. Die Tür prallte von der Wand ab, und er musste sie mit
einer Hand abfangen. Er trat ein und sah sich rasch um.
Niemand.
Ein Bügelbrett. Eine Kommode mit einem alten Radio und einer
brennenden Lampe. Eine Garderobe, an der Kleidungsstücke hingen.
Der Jäger trat näher. Wie war das möglich? Es waren dieselben
Kleidungsstücke, die seine Beute beim Betreten des Gebäudes getragen hatte. Die
blaue Windjacke, die graue Cordhose, Turnschuhe und eine Baseballkappe. Der
Jäger schaute zu Boden und sah die Schüssel in der Ecke.
Fedor stand darauf. Ihm fiel der Alte
wieder ein, der aus dem Haus gekommen war, um den Spaniel auszuführen.
»Verdammt!«, sagte er. Doch als er begriff, wie raffiniert er
getäuscht worden war, brach er in lautes Gelächter aus.
Er bewunderte die Methode, die sich der Verwandlungskünstler zu
seinem Schutz ausgedacht hatte. Tag für Tag kehrte er nach Hause zurück, um
anschließend in diese Verkleidung zu schlüpfen und mit dem Hund in den Park zu
gehen. Von dort aus beobachtete er sein Haus.
Das bedeutete, dass Jean Duez – oder besser gesagt das grausame
Geschöpf, das seinen Platz eingenommen hatte – inzwischen von ihm wusste.
VIER TAGE ZUVOR
1 Uhr 40
Nach dem Gewitter beherrschten die streunenden Hunde die
Altstadt. Sie zogen in Rudeln durch die Straßen, strichen lautlos an Mauern
entlang. Marcus begegnete ihnen in der Via dei Coronari, sie kamen ihm
entgegen. Der Rudelführer, ein Mischling mit rotem Fell, war auf einem Auge
blind. Kurz kreuzten sich ihre Blicke, und sie erkannten sich im jeweils
anderen wieder. Dann setzte jeder seinen Weg fort.
Wenige Minuten später überschritt Marcus erneut die Schwelle von
Laras Wohnung.
Bei Dunkelheit, genau wie Jeremiah Smith.
Er streckte eine Hand nach dem Lichtschalter aus, überlegte es sich
dann aber anders.
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