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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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irgendwie besorgt hatte und die den
ursprünglichen Tatort wiedergaben. So wie er sich demjenigen gezeigt hatte, der
das Zimmer nach dem Kind als Erster betreten hatte.
    Und das war der Anwalt Guido Altieri gewesen, der eines ganz
normalen Märzmorgens nach Hause gekommen war.
    Danach hatte sich alles verändert. Durch den Polizeieinsatz, aber
auch durch diejenigen, die anschließend alles gereinigt und versucht hatten,
das Zimmer in den Originalzustand zurückzuversetzen, die Erinnerung an dieses
Horrorszenario auszulöschen und wieder so etwas wie Normalität einkehren zu
lassen.
    Das passiert nach jedem gewaltsamen Tod, sagte sich Marcus: Die
Leichen werden abtransportiert, das Blut trocknet. Und die Menschen suchen
diese Orte weiterhin auf, ohne davon zu wissen. Das Leben kommt wieder und erobert
sich das, was ihm geraubt wurde, zurück.
    Niemand will solche Erinnerungen konservieren. Nicht einmal ich,
dachte er.
    Raffaele Altieri dagegen hatte beschlossen, den Schauplatz des
Verbrechens originalgetreu nachzubilden. Getrieben von seiner fixen Idee, hatte
er dem Grauen einen Tempel errichtet. Indem er versuchte, das Böse darin
einzusperren, war er selbst zu einem Gefangenen geworden.
    Marcus konnte von der originalgetreuen Inszenierung nur profitieren.
Er wollte nach Auffälligkeiten suchen, wenn es denn welche gab. Also
bekreuzigte er sich und betrat den Raum.
    Während er sich diesem »Opferaltar« näherte, verstand er auch, warum
es mindestens zwei Personen gewesen waren, die dieses Blutbad angerichtet
hatten.
    Die Opfer hatten nicht den Hauch einer Chance gehabt.
    Marcus versuchte sich vorzustellen, wie Valeria Altieri und ihr
Liebhaber von dieser unmenschlichen Gewalt aus dem Schlaf gerissen worden
waren. Hatte die Frau geschrien oder sich beherrscht, um den kleinen Sohn
nebenan nicht zu wecken? Um ihm den Anblick dessen, was dann kam, zu ersparen?
Um ihn zu retten?
    Rechts neben dem Fußende des Bettes hatte sich ebenfalls eine rote
Lache gebildet, links dagegen fielen Marcus drei kleine Kreise auf.
    Er trat näher und bückte sich, um sie genauer zu betrachten. Sie
bildeten ein perfektes gleichseitiges Dreieck. Jede Seite war ungefähr fünfzig
Zentimeter lang.
    Das Symbol.
    Er versuchte seine mögliche Bedeutung zu ergründen, bis er kurz
aufsah und etwas entdeckte, das ihm zunächst entgangen war.
    Auf der Auslegeware waren die Abdrücke kleiner nackter Füße zu
sehen.
    Er stellte sich vor, wie der gerade einmal dreijährige Raffaele
morgens im Schlafzimmer aufgetaucht und Zeuge dieses Horrorszenarios geworden
war, ohne seine Bedeutung verstehen zu können. Wie er auf das Bett zugegangen
und dabei in die Blutlache getreten war. Wie er angesichts der Gleichgültigkeit
des Todes verzweifelt seine Mutter geschüttelt hatte, in dem Versuch, sie zu
wecken. Marcus konnte sich seinen kleinen Körper sogar auf den
blutdurchtränkten Laken vorstellen: Nachdem er stundenlang geweint hatte, hatte
er sich sicher an die Leiche seiner Mutter gekuschelt und war irgendwann
eingeschlafen.
    Zwei ganze Tage hatte er in der Wohnung verbracht, bevor sein Vater
ihn fand und fortbrachte. Zwei endlose Nächte, in denen er es allein mit der
Dunkelheit hatte aufnehmen müssen.
    Kinder brauchen keine Erinnerungen, sie lernen, indem sie vergessen.
    Doch diese achtundvierzig Stunden hatten genügt, um Raffaele Altieri
für immer zu zeichnen.
    Marcus war wie gelähmt. Er begann bewusst aus- und einzuatmen,
befürchtete eine Panikattacke. War das einmal seine Begabung gewesen? Die
finstere Botschaft, die das Böse in die Gegenstände einschreibt, zu entziffern?
Die lautlose Stimme der Toten zu hören? Die Niedertracht der Menschen hilflos
mitansehen zu müssen?
    »Hunde sind farbenblind.«
    Deshalb wusste er jetzt etwas über Raffaele, das den anderen
entgangen war. Dieses dreijährige Kind wollte nach wie vor gerettet werden.

9 Uhr 04
    »Es gibt Dinge, die muss man mit eigenen Augen sehen, Ginger.«
    Das hatte David immer gesagt, wenn es um die Gefährlichkeit seiner
Arbeit ging. Für Sandra war die Kamera ein unverzichtbarer Schutz vor einem
direkten Kontakt mit der Gewalt, die sie jeden Tag dokumentierte. Für ihn war
sie nur ein Arbeitsinstrument.
    Zu dieser Erkenntnis war sie gelangt, als sie, genau wie David
früher, eine Dunkelkammer im Bad eingerichtet hatte.
    Sie hatte den Türschlitz und das Fenster verdunkelt und die Lampe
über dem Spiegel durch eine ersetzt, die ein schwaches rotes Licht erzeugte.
Sie hatte den

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