Der Seelensammler
Waffenschmuggel – enorme Summen standen auf dem Spiel. Das
englische Wort EVIL, das am Tatort über dem Bett stand, kann auch eine
Botschaft an Guido Altieri gewesen sein.«
»Eine Drohung.«
»Nun ja, seinen Sohn haben die Mörder zumindest verschont.«
Ein paar Kinder rannten an Marcus vorbei, der ihnen nachsah und sie
um ihre Unbeschwertheit beneidete.
»Und wie kommt es, dass beide Spuren zu keinem Ergebnis führten?«
»Was die erste Spur angeht, muss man wissen, dass Guido und Valeria
Altieri bereits die Scheidung eingereicht hatten. Sie war zu exzessiv, der
Skipper war nur einer von zahlreichen Liebhabern. Der Anwalt scheint unter
ihrem Tod nicht sehr gelitten zu haben, da er nur wenige Monate nach der Tat wieder
geheiratet hat. Er hat eine neue Familie und neue Kinder. Und ehrlich gesagt:
Wenn jemand wie Altieri seine Ehefrau loswerden will, muss er nicht zu derart
blutigen Methoden greifen.«
»Und Raffaele?«
»Von ihm war schon seit Jahren nichts mehr zu hören. Soweit ich
weiß, ist der Junge gestört und ständiger Gast in der Psychiatrie. Er gibt dem
Vater die Schuld an der Tat.«
»Und was ist mit der These von einem internationalen Komplott?«
»Die konnte sich zwar eine Weile halten, musste dann aber aus Mangel
an Hinweisen aufgegeben werden.«
»Es gab keine Fingerabdrücke und keine Indizien am Tatort?«
»Obwohl die Opfer regelrecht abgeschlachtet wurden, gingen die
Mörder äußerst präzise und umsichtig vor.«
Und selbst wenn dem nicht so gewesen wäre: Marcus fiel ein, dass der
Mord zu einer Zeit begangen worden war, zu der die Ermittler noch ganz anders
gearbeitet hatten. DNA-Analysen spielten damals noch keine Rolle. Außerdem war
der Tatort durch die achtundvierzigstündige Anwesenheit des Kindes
»verunreinigt« und anschließend gereinigt worden. Marcus dachte an die Kopie,
die Raffaele Altieri in der Hoffnung hergestellt hatte, den Fall doch noch
aufklären zu können. Weil es neunzehn Jahre zuvor nicht gelungen war, die Täter
zu finden, waren die Ermittlungen im Sande verlaufen, ohne dass man ein
überzeugendes Motiv gefunden hätte.
»Es gibt noch eine dritte Spur, nicht wahr?«
Marcus spürte das, und sie war der Grund, warum sie mit dem Fall
befasst waren. Allerdings verstand er nicht, warum der Freund nichts davon
erwähnt hatte. Und tatsächlich versuchte Clemente nun das Thema zu wechseln:
»Also, was hat dieser Jeremiah Smith mit Laras Verschwinden zu tun?«
»Das weiß ich noch nicht. Raffaele Altieri war gestern Nacht in der
Wohnung des Mädchens. Jemand hat ihn brieflich dorthin bestellt.«
»Und wer war das?«
»Das weiß ich auch noch nicht, aber in Laras Küchenregal stand eine
Bibel. Dieses ungewöhnliche Detail habe ich bei unserer ersten Ortsbegehung
übersehen. Manchmal sieht man im Dunkeln besser: Deshalb bin ich gestern Nacht
noch einmal in die Wohnung gegangen. Ich wollte sehen, unter welchen Umständen
Jeremiah agiert hat.«
»Eine Bibel?« Clemente verstand nicht.
»Das Lesezeichen markierte den Brief des Paulus an die
Thessalonicher: ›Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht …‹
Wenn es nicht so absurd wäre, würde ich sagen: Da hat jemand eine Nachricht für
uns hinterlassen, damit wir Raffaele Altieri begegnen.«
Clemente erstarrte: »Niemand weiß etwas von uns.«
»Tja!«, meinte Marcus. Niemand, dachte er verbittert.
Clemente trieb ihn zur Eile an: »Dir ist hoffentlich klar, dass uns
nicht mehr viel Zeit bleibt, um Lara zu retten.«
»Du hast doch selbst gesagt, dass ich mich auf mein Gespür verlassen
soll. Dass ich der Einzige bin, der sie finden kann. Und genau das tue ich
jetzt auch.« Marcus ließ nicht so schnell locker: »Und jetzt erzähl mir von der
anderen Spur. Am Tatort wurden außer dem Wort EVIL auch noch drei runde, mit
dem Blut der Opfer gemalte Zeichen hinterlassen. Sie bilden ein gleichseitiges
Dreieck.«
Clemente wandte sich dem bronzenen Erzengel zu, so als erflehe er
seinen Schutz vor dem, was er gleich sagen würde.
»Das ist ein esoterisches Symbol.«
Marcus wunderte sich nicht, dass die Polizei beschlossen hatte,
dieses Detail wegzulassen. Polizisten waren pragmatische Leute. Sie mochten es
gar nicht, wenn Ermittlungen ins Reich des Okkulten führen. Das waren
Argumente, auf die man sich in einem Gerichtssaal nur schwer berufen konnte. Im
schlimmsten Fall boten sie den Beschuldigten sogar die Möglichkeit, auf
Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren. Außerdem riskierte man damit, jede
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