Der Seelensammler
Menge
dubiose Gestalten auf den Plan zu rufen.
Trotzdem schien Clemente diese These ernsthaft in Betracht zu
ziehen.
»Angeblich soll in diesem Schlafzimmer ein Ritual vollzogen worden
sein.«
Verbrechen mit einem rituellen Hintergrund gehörten zu den Auffälligkeiten , mit denen sie sich normalerweise
beschäftigten. Dabei ging es um eine Mischung von Ausschweifung und Sex.
Während Marcus darauf wartete, dass Clemente ihm die Akte über den Fall Altieri
aus dem Archiv holte, konnte er es kaum erwarten, mehr über die Bedeutung des
Dreiecksymbols zu erfahren. Deshalb hatte er sich an den einzigen Ort begeben,
der ihm darüber Aufschluss geben würde.
Die Biblioteca Angelica befand sich in einem
ehemaligen Augustinerkloster an der Piazza Sant’Agostino. Seit dem siebzehnten
Jahrhundert hatten die Mönche hier ungefähr 200000 kostbare Bände gesammelt,
katalogisiert und erhalten. Sie waren nach antiken und nach modernen Quellen
geordnet. Die Biblioteca Angelica war einmal die
erste öffentliche Bibliothek Europas gewesen.
Umgeben von vollen Bücherregalen, saß Marcus an einem der Tische im
Lesesaal, dem sogenannten Vaso Vanvitelliano, benannt
nach dem Architekten, der das Gebäude im achtzehnten Jahrhundert restauriert
hatte. Man erreichte den Lesesaal über eine Vorhalle, die mit Gemälden
berühmter Arkadier geschmückt war. Dort standen auch die Bibliothekskataloge,
nicht weit von dem mit einer Panzertür gesicherten Raum mit den kostbaren
Miniaturen.
Im Laufe der Jahrhunderte war die Biblioteca
Angelica Gegenstand zahlreicher religiöser Kontroversen gewesen, denn
sie enthielt auch viele verbotene Texte. Und genau dafür interessierte sich
Marcus, der gebeten hatte, einige Bände über Symbolik einsehen zu dürfen.
Er hatte sich einen weißen Baumwollhandschuh übergestreift, um damit
die Seiten umzublättern. Ansonsten hätten sie durch den Kontakt mit der Säure
der Haut Schaden nehmen können. Im Saal war kein anderes Geräusch zu hören als
das Umblättern der Seiten, das an den Flügelschlag eines Schmetterlings
erinnerte. Zu Zeiten der Heiligen Inquisition hätte Marcus diese Lektüre mit
dem Leben bezahlen müssen. Nun stieß er nach einstündiger Recherche auf den
Ursprung des Dreiecksymbols.
Es war als Gegensymbol zum christlichen Kreuz entstanden und schon
bald zum Erkennungszeichen einiger Satanskulte geworden. Es stammte aus der
Zeit der Konstantinischen Wende: Damals wurden die Christen nicht länger verfolgt
und verließen die Katakomben, die daraufhin zu einem Zufluchtsort für Heiden
wurden.
Marcus staunte, als er erfuhr, dass der moderne Satanismus seine
Wurzeln in diesem Heidentum hatte. Im Laufe der Jahrhunderte hatte die Figur
des Satans alle anderen Gottheiten ersetzt, weil er der wichtigste Gegenspieler
des christlichen Gottes war. Die Anhänger dieses Kults wurden wie Verbrecher
behandelt. Sie trafen sich an abgelegenen Orten, meist unter freiem Himmel. Mit
einem Stock zeichneten sie ihren Tempel auf den Boden, denn so ließ er sich
notfalls schnell wieder verwischen. Mit Morden an Unschuldigen schlossen die Anhänger
einen blutigen Pakt. Sie waren nicht nur ein Ritual, sondern dienten auch einem
ganz praktischen Zweck: Wenn ich jemanden dazu bringe, einen anderen Menschen
zu töten, ist er sein Leben lang von mir abhängig, dachte Marcus. Denn will er
die Sekte verlassen, muss er damit rechnen, wegen Mordes angeklagt zu werden.
Im Katalog der Bibliothek war er auf Bücher gestoßen, die die
historische Entwicklung dieser Praktiken von damals bis heute schilderten. Da
es sich um relativ neue Veröffentlichungen handelte, zog Marcus den Handschuh
aus und vertiefte sich in einen kriminologischen Text.
Viele Verbrechen wiesen satanistische Züge auf. Aber oft waren sie nur
ein Vorwand, um sexuell motivierte Perversionen auszuleben. Manche
psychopathischen Mörder waren fest davon überzeugt, dass eine höhere Macht zu
ihnen sprach. Führten sie das blutige Ritual aus, war das nur ihre Form der
Kommunikation: Die Leichen fungierten gewissermaßen als Boten.
Der bekannteste Fall war der von David Richard Berkowitz – auch
bekannt als »Son of Sam« . Dieser Serienmörder hatte
Ende der Siebzigerjahre ganz New York in Angst und Schrecken versetzt. Als er
schließlich gefasst wurde, erzählte er der Polizei, ein Dämon, der in Gestalt
des Hundes seines Nachbarn mit ihm kommuniziere, habe ihm das Töten befohlen.
Im Fall Valeria Altieri ging Marcus nicht von einem
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