Der Seelensammler
Ausgerechnet du
müsstest das eigentlich wissen!«
»Du meinst wegen dem, was David zugestoßen ist?«
»Genau. Du versteckst dich nicht hinter seinem Tod.«
Er schmatzte beim Kaugummikauen, was ihr auf die Nerven ging. »Woher
willst du das wissen?«
»Du könntest hier hocken und die ganze Zeit heulen. Niemand würde
dir auch nur den geringsten Vorwurf machen. Doch du kämpfst! Dein Mann wird
ermordet, man schießt auf dich, aber du lässt dich nicht unterkriegen.« Er
kehrte ihr den Rücken zu, um zum Wagen zu gehen – nicht zuletzt, weil es angefangen
hatte zu regnen.
Sandra war es egal, ob sie nass wurde oder nicht, deshalb blieb sie
stehen, bevor sie etwas darauf erwiderte. »Du bist wirklich ekelhaft.«
Schalber fuhr herum. »Mit seiner falschen Zeugenaussage hat dieses
Arschloch einen Unschuldigen in den Knast gebracht! Und das nur, weil er nicht
zugeben wollte, dass er sich in die Hosen geschissen hat vor Angst. Und das
findest du nicht ekelhaft?«
»Ich hab schon verstanden: Du bestimmst hier, wer der Schuldige ist.
Doch was, wenn du dich täuschst, Schalber?«
Er lachte auf und gestikulierte heftig. »Hör zu, ich habe keine
Lust, das hier auf der Straße zu diskutieren. Es tut mir leid, dass ich so grob
war, aber so bin ich nun mal. Glaubst du etwa, Davids Tod geht mir nicht nah?
Glaubst du, ich fühle mich nicht auch ein Stück weit dafür verantwortlich, weil
ich ihn nicht aufgehalten habe?«
Sandra verstummte. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht.
Vielleicht hatte sie Schalber doch etwas vorschnell verurteilt.
»Wir waren nicht direkt befreundet, aber er hat mir vertraut. Und
das genügt mir, um mich schuldig zu fühlen«, sagte er.
Sandra beruhigte sich wieder und schlug einen sachlicheren Ton an.
»Und was unternehmen wir jetzt wegen Federico Noni? Sollten wir das nicht melden?«
»Noch nicht. Vorher haben wir noch einiges zu erledigen. Wir wissen
jetzt mit Sicherheit, dass die Pönitenziare den echten Figaro suchen. Und wir
müssen ihnen unbedingt zuvorkommen.«
15 Uhr 53
Der Dauernieselregen machte den römischen Verkehr noch
chaotischer als sonst. Als Marcus den Eingang des großen Parks erreicht hatte,
blieb er kurz stehen und dachte noch einmal an die Mail, die Pietro Zini
bekommen hatte.
Er ist nicht so wie du. Such im Park Villa Glori.
Wer war der wahre Figaro? Und wer sollte diesmal die Rolle des
Rächers spielen? Vielleicht würde er hier eine Antwort darauf finden.
Der Park war eine der grünen Lungen der Hauptstadt. Er war zwar
nicht der größte, erstreckte sich aber immerhin über fünfundzwanzig Hektar: Das
waren eindeutig zu viele, als dass er sie noch vor Sonnenuntergang erkunden
könnte. Mal ganz abgesehen davon, dass Marcus nicht wusste, wonach er suchen
sollte.
Die Botschaft war an einen Blinden gerichtet gewesen, dachte er.
Also musste es sich um einen deutlich erkennbaren Hinweis handeln, vielleicht
sogar um ein akustisches Signal. Doch gleich darauf korrigierte er sich: Nein,
die Botschaft war an die Pönitenziare gerichtet. Dass Zini sie erhalten hatte,
war nebensächlich.
Die Spur ist für uns ausgelegt worden.
Er trat durch das große schmiedeeiserne Tor und ging den Weg hinauf.
Der Park erstreckte sich über einen Hügel. Als Erstes begegnete er einem dem
schlechten Wetter trotzenden Jogger in kurzen Hosen und Regenjacke, gefolgt von
einem Boxer. Marcus schlug den Kragen seines Mantels hoch, denn allmählich
wurde ihm kalt. Er sah sich um und hoffte darauf, dass irgendetwas seine
Aufmerksamkeit erregen würde.
Auffälligkeiten.
Im Gegensatz zu anderen römischen Parks war dieser dicht bewachsen.
Hohe Bäume ragten in den Himmel und sorgten für interessante Schattenspiele.
Das Unterholz bestand aus kleinen Stauden und Sträuchern, und der Boden war mit
Zweigen und totem Laub bedeckt.
Eine blonde Frau saß auf einer Parkbank. In der einen Hand hielt sie
einen Schirm, in der anderen ein aufgeschlagenes Buch. Um sie herum strich ein
Labrador. Das Tier wollte offensichtlich spielen, aber sein Frauchen ignorierte
es, weil sie so in ihre Lektüre vertieft war. Marcus versuchte, ihrer
Aufmerksamkeit zu entgehen, aber als er an ihr vorbeikam, schaute die Frau von
ihrem Buch auf, um zu sehen, ob dieser Fremde eine potenzielle Gefahr für sie
darstellte. Er ging weiter, ohne seine Schritte zu verlangsamen, und der Hund
lief ihm schwanzwedelnd nach. Marcus blieb stehen und strich dem Tier über den
Kopf.
»Na, mein Hübscher, geh zu ihr zurück!«
Der
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