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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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einverstanden bist, aber ich finde, du
solltest etwas tun. Darf ich dir einen guten Rat geben?«
    »Von mir aus, ich höre.«

17 Uhr 07
    Sie schenkte sich eine große Tasse Tee ein und wärmte sich
daran die Hände. Von der Küche aus konnte sie Pietro Zinis Rücken sehen, der in
der Diele telefonierte. Doch leider verstand sie nicht, was er sagte.
    Es war ihr gelungen, Schalber zu überzeugen, im Gästehaus von
Interpol auf sie zu warten. Es war vernünftiger, wenn sie den alten Polizisten
allein traf. Immerhin handelte es sich um einen Kollegen, der nicht so leicht
auf sie hereinfallen würde wie Federico Noni. Er würde jede Menge Fragen
stellen und sofort spüren, dass es sich um keine offizielle Ermittlung handelte.
Außerdem konnten Bullen nicht besonders gut mit Interpolbeamten umgehen. Als
sie bei Zini aufgetaucht war, hatte sie ihm nur erzählt, sie beschäftige sich
in Mailand mit einem ähnlich gelagerten Fall wie dem des Figaro. Der alte
Polizist hatte ihr geglaubt.
    Während sie darauf wartete, dass er sein Telefonat beendete, warf
Sandra einen Blick in die Akte, die Zini ihr gegeben hatte. Es handelte sich um
eine Kopie der offiziellen Nicola-Costa-Akte. Sie hatte nicht gefragt, wieso
sie sich in seiner Wohnung befand, sondern er hatte von sich aus erzählt, dass
er schon in seiner aktiven Zeit Fallkopien bei sich zu Hause aufbewahrt hatte.
    »Man weiß schließlich nie, wann man einen Gedankenblitz hat, mit dem
man den Fall aufklären kann«, hatte er sich verteidigt. »Deshalb sollte man die
Unterlagen stets griffbereit haben.«
    Beim Durchblättern der Akte sah Sandra, dass Zini ein äußerst
penibler Typ war. Es gab viele Anmerkungen, aber die letzten Vernehmungen
ließen eine gewisse Eile erkennen. So als hätte er die Dinge forcieren wollen,
wohl wissend, dass seine Erblindung näher rückte. Vor allem bei Costas Geständnis
hatte er geschludert. Die Beweislage war mager, und ohne das Geständnis wäre
die Anklage in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus.
    Sie verzichtete darauf, sich weitere Vernehmungsprotokolle
durchzulesen, und konzentrierte sich stattdessen auf die Anlagen. Die Akte
enthielt auch Fotos der verschiedenen Tatorte. Zunächst von denen, wo die
gewalttätigen Überfälle vor dem Mord stattgefunden hatten. Die drei Opfer waren
jeweils allein in ihrer Wohnung überrascht worden. Die Tat hatte stets am
Spätnachmittag stattgefunden. Der Wahnsinnige hatte mit der Schere mehrmals auf
sie eingestochen. Aber die Wunden waren nie tief genug gewesen, um tödlich zu
sein. Sie konzentrierten sich auf Brüste, Beine und Schamregion.
    Psychiatern zufolge waren die Angriffe sexuell motiviert. Der
Wahnsinnige wollte sich dadurch jedoch nicht selbst befriedigen wie einige
Sadisten, die sich an Gewalt aufgeilten. Figaro verfolgte ein anderes Ziel: Er
wollte verhindern, dass diese Frauen anschließend noch für irgendeinen Mann
attraktiv waren.
    Wenn ich euch schon nicht haben kann, soll euch auch sonst niemand
haben.
    Das war die Botschaft, die er mit seinen Taten verkündete. Ein
Verhalten, das in der Tat hervorragend zu Costas Persönlichkeitsprofil passte.
Wegen seiner Lippen-Kiefer-Gaumenspalte wurde er vom anderen Geschlecht
abgelehnt. Deswegen penetrierte er seine Opfer nicht: Bei einem erzwungenen
Geschlechtsverkehr hätte er ihren Ekel trotzdem gespürt und sich erneut
abgewiesen gefühlt. Die Schere dagegen war ein idealer Kompromiss. Sie erlaubte
ihm, Lust zu empfinden und dabei einen gewissen Sicherheitsabstand zu den
Frauen zu wahren, die ihm ein Leben lang Angst eingejagt hatten. An die Stelle
des Orgasmus trat die Befriedigung, sie leiden zu sehen.
    Aber wenn Schalber recht hatte und Nicola Costa nicht Figaro war,
musste ein völlig neues psychologisches Profil erstellt werden.
    Sandra sah sich die Fotos vom Mord an Giorgia Noni an. Die Leiche
wies die gleichen Merkmale auf, die der Wahnsinnige auch den anderen Frauen
zugefügt hatte. Doch diesmal hatte er verletzt, um zu töten.
    Wie schon zuvor hatte sich der Mörder heimlich Zutritt zur Wohnung
verschafft. Nur dass in diesem Fall noch ein Dritter anwesend gewesen war,
nämlich Federico. Seiner Aussage nach war der Mörder durch eine Seitentür
geflohen, als er die Sirene des Streifenwagens gehört hatte.
    Figaros Schuhabdrücke waren in der Gartenerde gefunden worden.
    Der Spurensicherungstechniker hatte sie aus nächster Nähe
fotografiert. Wieder fiel Sandra Davids Begegnung mit der unbekannten Joggerin
am Strand

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