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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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Labrador schien verstanden zu haben und machte kehrt.
    Marcus brauchte einen Anhaltspunkt für seine Suche, und der konnte
nur hier in der Natur verborgen sein.
    Ein Wald mit einer für Rom untypisch dichten Vegetation. Nicht
gerade ideal für ein Picknick, aber perfekt zum Joggen, Rad fahren … und Gassi
gehen.
    Die Hunde!, dachte Marcus. Wenn es hier irgendetwas gab, hatten sie
es bestimmt gewittert.
    Er nahm den Asphaltweg zum Gipfel des Hügels und behielt seine
Umgebung genau im Auge. Nachdem er mehrere Hundert Meter zurückgelegt hatte,
sah er Spuren auf dem schlammigen Boden.
    Jede Menge Pfotenabdrücke.
    Sie konnten unmöglich von nur einem einzigen Tier stammen: Hier
hatten sich viele Hunde ins Walddickicht vorgewagt.
    Marcus verließ den Hauptweg und bahnte sich einen Weg durchs
Gestrüpp. Nur das Rauschen des Regens und seine Schritte auf dem nassen Laub
waren zu hören. Er lief noch ein paar Hundert Meter weiter und versuchte, den
Pfotenspuren zu folgen. Sie waren trotz der Gewitter der letzten Tage erhalten
geblieben. Hier sind immer wieder Tiere hin und her gelaufen, dachte er. Aber
sonst konnte er nichts entdecken.
    Plötzlich brachen die Spuren ab und verliefen sich in einem größeren
Radius. Vermutlich hatten die Tiere die Duftspur verloren. Oder aber der Geruch
war so intensiv, dass sie seine Quelle nicht fanden.
    Der Himmel war bedeckt. Die Geräusche und die Lichter der Stadt
wurden von einem dunklen Vorhang aus Zweigen gedämpft. Marcus kam sich vor wie
fernab der Zivilisation, wie an einem dunklen archaischen Ort. Er zog seine Taschenlampe
hervor und schaltete sie ein, leuchtete seine Umgebung ab und verwünschte sein
Pech. Am besten, er trat den Rückweg an und versuchte es am nächsten Tag noch
einmal. Allerdings war der Park dann sicher besser besucht, und er würde sein
Vorhaben vielleicht nicht mehr umsetzen können. Er wollte gerade aufgeben, als
der Lichtkegel seiner Taschenlampe eine Stelle in einigen Metern Entfernung
erfasste. Zuerst hielt er das Ding für einen toten Ast, aber dafür war es zu
gerade, zu perfekt. Er sah es sich näher an und wusste, was er zu tun hatte.
    An einem der Bäume lehnte eine Schaufel.
    Er legte die Taschenlampe so auf den Boden, dass sie die
unmittelbare Umgebung des Werkzeugs anstrahlte. Dann zog er die Latexhandschuhe
an, die er immer bei sich trug, und begann zu graben.
    Die Geräusche des Waldes wurden von der Dunkelheit verstärkt. Jeder
Laut klang bedrohlich, erreichte ihn wie ein Gespenst, um dann vom Wind
fortgeweht zu werden, der in den Zweigen raschelte. Das Schaufelblatt versank
in der weichen Erde. Marcus half mit dem Fuß nach und schleuderte die Mischung
aus Schlamm und Laub von sich, ohne darauf zu achten, wo sie hinfiel. Er konnte
den Anblick dessen, was er gleich vorfinden würde, kaum erwarten. Dabei ahnte
er bereits, was ihn erwartete. Das Graben war anstrengender als gedacht. Er
begann zu schwitzen, die Kleider klebten ihm am Leib, und er geriet außer Atem.
Trotzdem hörte er nicht auf. Er wollte eines Besseren belehrt werden.
    Lieber Gott, bitte mach, dass es nicht das ist, was ich denke!
    Doch kurz darauf nahm er den Gestank wahr. Er war süßlich und
durchdringend, hatte eine fast flüssige Konsistenz, so als könnte man ihn
trinken. Er verband sich mit der Magensäure und verursachte Brechreiz. Marcus
musste eine Pause einlegen und führte den Mantelärmel zum Mund, um die Luft zu
filtern. Dann machte er sich wieder an die Arbeit. Zu seinen Füßen klaffte eine
kleine Grube, etwa fünfzig Zentimeter breit und fast einen Meter tief. Aber die
Schaufel versank nach wie vor im schlammigen Boden. Noch ein halber Meter. Inzwischen
waren mehr als zwanzig Minuten vergangen.
    Schließlich sah er eine schwärzliche Flüssigkeit, zähflüssig wie
Erdöl – ein Nebenprodukt des Verwesungsprozesses. Marcus kniete sich vor die
Grube und grub mit bloßen Händen weiter. Etwas von der dunklen Flüssigkeit
beschmutzte seine Kleider, aber das war ihm egal. Dann spürte er etwas Festeres
als Erde unter den Fingern. Etwas Glattes, teilweise Faseriges. Es war ein
Knochen. Marcus versuchte, ihn freizulegen und entdeckte ein bläulich
angelaufenes Gliedmaß.
    Es stammte von einem Menschen, daran bestand kein Zweifel.
    Er griff erneut zur Schaufel und versuchte, die Leiche, so gut es
ging, auszugraben. Er förderte ein Bein zutage, dann einen Beckenknochen. Es
war eine Frau, und sie war nackt. Der Verwesungsprozess war bereits weit
fortgeschritten,

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