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Der Seelensammler

Der Seelensammler

Titel: Der Seelensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donato Carrisi
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ein.
    Zufälle!, dachte sie.
    Rein instinktiv war ihr Mann den Fußspuren im Sand gefolgt, weil er
wissen wollte, zu wem sie gehörten. Und auf einmal fand sie dieses Verhalten
gar nicht mehr so absurd, auch wenn sie noch nicht genau verstand, warum.
Während sie darüber nachgrübelte, beendete Zini sein Telefonat und kehrte in
die Küche zurück.
    »Wenn Sie wollen, können Sie sie mitnehmen«, sagte er und wies auf
die Akte. »Ich brauche sie nicht mehr.«
    »Danke. Ich sollte jetzt lieber gehen.«
    Der Polizist nahm gegenüber von ihr Platz und stützte die Arme auf
den Tisch. »Bleiben Sie doch noch ein bisschen! Ich bekomme nicht oft Besuch,
es macht mir Freude, ein paar Worte mit Ihnen zu wechseln.«
    Vor dem Telefonat hatte Zini sie so schnell wie möglich loswerden
wollen. Und jetzt bat er sie sogar, zu bleiben, allerdings nicht aus
Höflichkeit. Trotzdem beschloss Sandra, seiner Bitte zu entsprechen: Sie wollte
herausfinden, was er vorhatte.
    Schalber kümmerte sie nicht, er konnte ruhig noch ein bisschen auf
sie warten! »Na gut, ich bleibe.« Zini erinnerte sie an De Michelis. Sie
spürte, dass sie dem Mann mit den großen Händen, der sie irgendwie an einen
Baum erinnerte, vertrauen konnte.
    »Hat der Tee geschmeckt?«
    »Ja, ausgezeichnet.«
    Der blinde Polizist schenkte sich ebenfalls eine Tasse ein, obwohl
der Inhalt der Kanne längst erkaltet war. »Ich habe immer mit meiner Frau Tee
getrunken. Wenn wir sonntags aus der Kirche kamen, hat sie Tee gemacht, und wir
haben uns hingesetzt und geredet. Das war eine Art feste Verabredung.« Er
lächelte. »Ich glaube, wir haben das in den zwanzig Jahren unserer Ehe nicht
einmal ausfallen lassen.«
    »Worüber haben Sie geredet?«
    »Über alles Mögliche, wir hatten keine besonderen Themen. Das war ja
das Schöne: zu wissen, dass man alles teilen kann. Manchmal haben wir auch
diskutiert, herumgealbert und uns in Erinnerungen verloren. Da wir leider keine
Kinder haben, wussten wir, dass wir jeden Tag einem gefährlichen Feind trotzen
müssen. Wenn man nicht lernt, ihn auf Abstand zu halten, schleicht er sich in
die Risse einer Beziehung ein und droht, sie immer weiter zu verbreitern. Mit
der Zeit entsteht dann eine unüberwindbare Kluft.«
    »Ich habe vor Kurzem meinen Mann verloren.« Der Satz war ihr einfach
so herausgerutscht. »Wir waren erst drei Jahre verheiratet.«
    »Das tut mir sehr leid, ich weiß, wie hart das ist. Trotz allem habe
ich Glück gehabt. Susy ist gestorben, wie sie es sich gewünscht hat: ganz
plötzlich.«
    »Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als mir die
Nachricht von Davids Tod überbracht wurde.« Sandra versuchte, den Gedanken
wieder abzuschütteln. »Wie haben Sie es erfahren?«
    »Eines Morgens wollte ich sie wecken.« Zini verstummte, mehr
brauchte er auch nicht zu sagen. »Es mag egoistisch klingen, aber eine
Krankheit hilft demjenigen, der zurückbleibt, sich auf das Schlimmste
vorzubereiten. Aber so …«
    Sandra verstand, was er meinte. Die plötzliche Lücke, die Unwiderruflichkeit,
der unerfüllbare Wunsch zu reden, zu diskutieren, bevor es endgültig so weit
war. Die Versuchung, so zu tun, als wäre gar nichts passiert. »Glauben Sie an
Gott, Signor Zini?«
    »Was wollen Sie wirklich von mir wissen?«
    »Das, was ich Sie gerade gefragt habe«, bekräftigte Sandra. »Sie
sind in die Kirche gegangen, sind katholisch. Hadern Sie nicht mit Gott, wegen
dem, was Ihnen widerfahren ist?«
    »An Gott zu glauben, heißt nicht unbedingt, dass man ihn auch lieben
muss.«
    »Da kann ich Ihnen nicht ganz folgen.«
    »Unsere Beziehung zu Gott beruht ausschließlich auf der Hoffnung,
dass nach dem Tod noch etwas kommt. Aber angenommen, es gibt kein ewiges Leben:
Würden Sie den Gott, der Sie erschaffen hat, dann immer noch lieben? Angenommen,
am Schluss wartet nicht die Belohnung, die uns versprochen wurde: Könnten Sie
sich dann immer noch hinknien und den Herrn loben?«
    »Und Sie?«
    »Ich glaube an einen Schöpfer, aber nicht an ein Leben nach dem Tod.
Deshalb fühle ich mich berechtigt, ihn zu hassen.« Zini brach in ein ebenso
lautes wie bitteres Gelächter aus. »Diese Stadt ist voller Kirchen. Sie
symbolisieren den Versuch des Menschen, das Unausweichliche zu leugnen, und
damit auch ihr Scheitern. Doch jede von ihnen hütet ein Geheimnis, eine
Legende. Meine Lieblingslegende ist die der Kirche Sacro Cuore del Suffragio.
Nur wenige kennen sie, dabei beherbergt sie das Museum der
Seelen im Fegefeuer .« Zinis Stimme

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