Der Seerosenteich: Roman (German Edition)
es geschafft, du hast es geschafft ...» Patrizia war noch nie in ihrem Leben so schnell eine Treppe hinaufgestürmt. Atemlos stürzte sie ins Büro, einen Stapel Tageszeitungen im Arm. Isabelle saß hinter ihrem Schreibtisch und telefonierte mit einer Journalistin, die unbedingt ein Interview machen wollte. Doch Isabelle hatte keine Lust dazu, an diesem Tag, dem Tag nach ihrem Triumph. Sie war erschöpft, müde, genervt und sie hatte anderes zu tun. Den ganzen Vormittag über klingelte das Telefon. Boten brachten Blumen vorbei. Ein Pressefotograf hatte ihr aufgelauert, als sie, blaß und mit tiefen Schatten unter den Augen, aus dem Taxi gestiegen war und ihren Laden hatte betreten wollen. Sie war ihn erst wieder losgeworden, als sie ihm versprochen hatte, sich morgen früh von ihm an der Alster fotografieren zu lassen – in einem ihrer eigenen Entwürfe, einem weißen Hosenanzug. Das hatte er dreimal erwähnt. Darauf legte er Wert. Jaja, Wiedersehen. Laßt mich alle in Ruhe. Hilfe! Das war also der Ruhm. Scheiße!
Sie klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und bedeutete Patrizia, sie möge ruhig sein und sich setzen. «Tun Sie mir einen Gefallen, lassen Sie mir etwas Zeit. Gestern nacht war die Schau, ich bin völlig überrumpelt von dem ganzen Trubel. Geben Sie mir Nummer ...», sie nahm einen Bleistift aus dem Silberbecher, der vor ihr auf dem Schreibtisch stand, und schrieb mit, «mmh, okay. Hab ich. Ich melde mich.» Ehe sie auflegte, holte sie noch einmal kurz Luft, denn sie erinnerte sich daran, daß Carl ihr gesagt hatte, die Presseleute seien am Anfang neben der Kollektion selbst das Wichtigste, und fügte freundlich hinzu: «Danke, daß Sie mich angerufen haben. Ich freue mich.» Sie knallte den Hörer auf und sah ihre Freundin und Mitarbeiterin an. Patrizia steckte in einer engen schwarzen Jeans und einem engen Tigerdruck-Pullover mit halbhohem Rollkragen. Auf ihrer Nase saß eine weiße Brille. Wie sinnfällig!
«Also? Was gibt's Neues?»
Patrizia kam zu ihr und knallte die Zeitungen auf den Schreibtisch. «Nur Begeisterung, nur tolle Kritiken. Alle haben drüber berichtet. Alle! Hier ...» Sie beugte sich vor, durchwühlte die Zeitungen, bis sie diejenige fand, die über Belles Modenschau sogar auf der Titelseite mit einem Foto und der Überschrift «Ein neuer Stern am Modehimmel» berichtet hatte, und las vor: «Die Hamburgerin Belle Corthen zeigte im Atlantic-Hotel ihre erste eigene Kollektion dong dong dong ... und da: internationales Format, eine Entdeckung ... und da steht: wunderbarer Stil, Riesenbeifall, große Zukunft.» Sie sah Isabelle an. Dann drückte sie ihr spontan einen Kuß auf die Wange. «Herzlichen Glückwunsch!»
Isabelle bat sie, ihr einen Kaffee zu bringen und zwei Aspirin zu organisieren, denn sie hatte Kopfschmerzen. Dann vertiefte sie sich in die Artikel. Sie war fasziniert davon, ihr Foto und ihren Namen gedruckt in der Zeitung zu sehen. Es hatte etwas Berauschendes und Beschämendes zugleich. Während sie las, spürte sie: Der Zug hatte sich in Bewegung gesetzt, er fuhr, schnell sogar, und nun würde es nie wieder in ihrem Leben ein Zurück geben. Für den Bruchteil einer Sekunde kam ihr der Gedanke: Hilfe, ich will aussteigen. Aber dann ratterte sie schon los, auf in die Zukunft, die ferne, schöne, glänzende Welt. Das war es, was sie immer gewollt hatte. Das war es, wofür sich all das Rackern der letzten Monate und die Niederlagen, Kränkungen und Kämpfe der vergangenen Jahre gelohnt hatten.
Als sie am Ende der Schau auf den Laufsteg herausgekommen war, geblendet vom Licht, und jemand ihr von unten – sie war so aufgeregt gewesen, daß sie tatsächlich nicht wußte, wer es war einen üppigen Herbstblumenstrauß hinaufgereicht hatte, war stürmischer Beifall aufgebrandet. Bravorufe hatten sich darunter gemischt, und als sie glücklich lachend, wie ein Kind, das bei einem Spiel gewonnen hatte, winkte und in die vorderen Reihen hinuntersah, waren da lauter vertraute Gesichter, Menschen, von denen die meisten es gut mit ihr meinten, sie mochten und liebten. Mittendrin saß ihre Mutter und winkte zurück. Hinterher war sie zu ihr gekommen – Carl hatte einen Cocktail organisiert –, hatte sie umarmt und ihr etwas gesagt, was sie vorher noch nie gesagt hatte: «Ich bin stolz auf dich, mein Kind. Woher hast du nur dieses Talent, diese Ideen?»
Carl hatte ihr gratuliert, Vivien, Peter und auch Charlotte, und bei ihr war es Isabelle schwergefallen, weiter zu
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